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Aktion T4 – Krankenmorde

Für die durch das NS-Regime veranlassten Krankenmorde ab 1940 sind in der Geschichtsschreibung häufig die Begriffe „Euthanasie“-Morde oder der anfänglich benutzte Deckname „Aktion T4“ zu finden. Das „T4“ steht für die Berliner Adresse „Tiergartenstraße 4“, wo sich die 1938 geschaffene Behörde „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten“ befand, die die Durchführung der Krankenmorde organisierte und dem Reichsinnenministerium unterstand. Von dort wurden Fragebögen an die jeweiligen Einrichtungen für Behinderte und psychisch Kranke verschickt, an Hand derer von der RAG bestellte Gutachter entschieden, wessen Leben „nicht lebenswert“ sei. Wichtige Überlegungen waren dabei der Pflegeaufwand und die Arbeitsfähigkeit der Betroffenen, also Kosten-/Nutzenrechnungen. Zur Durchführung der Morde wurden im Deutschen Reich sechs Tötungsanstalten geschaffen (Hadamar, Pirna, Brandenburg, Bernburg, Hartheim/Österreich und das in Württemberg gelegene Grafeneck), wo in den Jahren 1940/41 über 70 000 Menschen vergast wurden – in Grafeneck fast 11 000, darunter um die 50 Personen aus Ulm und 55 aus der Landesfürsorgeanstalt Oberer Riedhof bei Ulm.

Oft wurden die Betroffenen nicht direkt aus ihrer gewohnten Einrichtung dorthin gebracht, sondern vorher innerhalb weniger Wochen mehrfach verlegt um bei ihnen und ihren Angehörigen Verwirrung über ihren tatsächlichen Verbleib   zu stiften. In der Benachrichtigung über den Tod wurden falsche Todesursachen, oft ein gefälschtes Datum oder auch ein falscher Sterbeort genannt. Trotzdem verbreiteten sich zunehmend Gerüchte über das wirkliche Geschehen. Viele Menschen erahnten z.B. den Auftrag der grauen Busse, die die Kranken aus den Einrichtungen abholten und zu den Vernichtungsorten brachten. Wachsende Unruhe in der Bevölkerung und Proteste der Kirchen führten schließlich zu einer offiziellen Beendigung der„Aktion T4“ im August 1941. Ein Teil der Vergasungsanlagen wurde geschlossen (Grafeneck bereits im Dez. 1940), doch ging das Töten mit leicht veränderter Organisationsstruktur  bis Kriegsende weiter – v.a. über das Verabreichen einer Mangelernährung oder von tödlichen Medikamenten. Für Ulmer war ein Ort dieser dezentralen „Euthanasie“ beispielsweise die Heilanstalt in Zwiefalten.

Auch Kinder und Jugendliche wurden Opfer der NS-„Euthanasie“ – bis August 1941 bereits über 4000 in Gaskammern im Rahmen der „Aktion T4“. Für behinderte Neugeborene und Kleinkinder bestand ferner seit Juli 1939 eine Meldepflicht via Gesundheitsamt an den „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden“ in Berlin. Bei schweren Behinderungen des Kindes bekamen Eltern ab Mitte 1940 die Empfehlung, eine „Behandlung“ in einer der neuen „Kinderfachabteilungen“ durchführen zu lassen. Für Ulmer und Neu-Ulmer Kinder war u. a. die im Dezember 1941 eröffnete „Kinderfachabteilung“ der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren zuständig, die zunehmend auch größere Kinder bis zum Alter von 16 Jahren aufnahm. In solchen Einrichtungen wurde bei den Kindern durch Unterernährung, gezielte Vernachlässigung und schädigende Medikamente innerhalb weniger Wochen oder Monate der Tod herbeigeführt oder sie wurden durch Spritzen ermordet.

 

Autorinnen: Karin Jasbar und Angelika Liske

 

 

Literatur:

Walter Wuttke: Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ und die „Euthanasie“ in Ulm. In Gotthold Knecht (Hrsg.): Zeitzeugen aus Demokratie und Diktatur 1930 – 1950, Bd. 2, Blaubeurer Geographische Hefte 25, S. 119 -162, Blaubeuren 2002.

Götz Aly: Die Belasteten. „Euthanasie“ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte. Frankfurt 2013.

Madeleine Wegner: Vom Heim zur Vernichtungsfabrik. Vor 75 Jahren begannen die Morde in Grafeneck. SWP 17.01.2015.