Stolperstein Ensingerstraße 3 (GPS 48.402126, 9.98938)
Julius Salomon wurde am 31. Januar 1867 in Gerabronn in der Nähe von Schwäbisch Hall geboren und war von Beruf Kaufmann. Seine Eltern waren Aron und Veronika Salomon, geborene Bissinger. Er heiratete am 17. August 1896 Fiora Nathan und wohnte seitdem in Ulm. Als einziges Kind wurde Ernst Salomon ein Jahr später am 28. August 1897 geboren. Zunächst wohnte die Familie in der Zeitblomstraße 36, von 1904 bis 1919 in der Karlstraße 13 und ab 1921 in der Ensingerstraße 3. Julius Salomon musste zwei Schicksalsschläge verkraften, da seine Ehefrau mit 49 Jahren am 9. März 1923 sehr früh verstorben ist. Der zweite Schicksalsschlag war der frühe Tod seines einzigen Sohnes Ernst im Alter von 36 Jahren am 9. Februar 1933 in Agra im Tessin. Er war Tuberkulosearzt, ist dann selbst daran erkrankt und gestorben. Die Frau seines Sohnes war ebenfalls Ärztin.
Julius Salomon war Eigentümer des Hauses Ensingerstraße 3 und hatte Beteiligungen an den Firmen Julius Moos, Textilwarengroßhandel in der Hirschstraße 27 mit zwei Angestellten und Textil-Industrie Ulm, Moos & Co. Am bedeutendsten war die Beteiligung bei der Firma L.G. Wallersteiner, einem in dieser Zeit sehr renommierten und bekannten Einzelhandelsgeschäft.
Die Kürzel L.G. stehen für den Urgroßvater Lazarus Gronum. Der Urgroßvater hat die Firma ursprünglich in Buchau gegründet. Von 1884 bis 1912 war das Geschäft in Biberach, dann wurde es 1912 nach Ulm verlegt. Leopold und Elsa Wallersteiner eröffneten das Bekleidungsgesellschaft L. G. Wallersteiner in der früheren Sattlergasse 20 neu (heute Neue Straße 80, Ecke Vestgasse, das Bankgebäude neben dem Rathaus). Es war ein Einzelhandelsgeschäft mit Herren-, Damen- und Kinderbekleidung und hatte zu dieser Zeit bereits 70 Arbeiter und Angestellte. Es gab auch einen Nähsaal, in dem eine eigene Damenkonfektion hergestellt wurde.
Während des ersten Weltkriegs musste die Frau das Geschäft allein führen, da Leopold Wallersteiner im Krieg war. Julius Salomon war ein guter Freund der Familie und trat 1916 als Teilhaber ein. Weitere Gesellschafter waren Leopold Wallensteiner und Stefanie Wallersteiner, geborene Moos, Witwe des Friedrich Wallersteiner. Er spezialisierte sich auf den An- und Verkauf von Meterware. Nach der Rückkehr von Leopold Wallersteiner aus dem Krieg wurde das Unternehmen weiterentwickelt. 1924 erfolgte der Umzug aus der Sattlergasse in eine neue Fabrik zur Herstellung von Bekleidung am Kuhberg in der Römerstraße 19.
L.G. Wallersteiner hatte dort die Erlaubnis weiterhin „im Detail“ zu verkaufen. Das Unternehmen hatte in diesen Jahren im Schnitt 200 bis 225 Arbeiter und Angestellte.Eine Lehre bei L.G.W. war sehr begehrt, da Leopold Wallersteiner als sehr guter Lehrmeister galt. Für damalige Verhältnisse gab es herausragende Sozialleistungen. Wenn ein Mitarbeiter heiratete und ein Auto zur Hochzeit benötigte,stellte die Firma das Privatauto mit Chauffeur dem Brautpaar zur Verfügung. Gerne stifteten Leopold und Elsa Wallersteiner ein Brautkleid oder eine Kinderausstattung.
Im Rahmen der Arisierung jüdischer Geschäfte mussten die Teilhaber am 6. August 1938 die Firma weit unter Wert an die Firma Conzelmann& Co. verkaufen. Am Anfang war Leopold Wallersteiner noch als Geschäftsführer dort angestellt. Nach der Kristallnacht sah die Familie Wallersteiner keine Perspektive mehr in Deutschland. Sie floh im Mai 1939 weitgehend mittellos nach London und dann im Dezember 1939 weiter in die USA. 1949 erhielten die Hinterbliebenen und ehemaligen Eigentümer in einem gerichtlichen Vergleich das Grundstück der Firma L.G. Wallersteiner zurück. Die Tochter von Leopold und Elsa Wallersteiner, Ann Dorzback, lebte noch heute in den USA und hat anlässlich ihres 100. Geburtstags am Schwörmontag 2021 die Bürgermedaille der Stadt Ulm verliehen bekommen.
Ann Dorzback hat Julius Salomon als Jugendliche erlebt. Sie beschreibt ihn als bescheidenen, freundlichen, großzügigen und eher introvertierten Menschen. Er spendete Geld und war Ratgeber für gute Zwecke, machte jedoch kein Aufhebens davon. Er war für ihren Vater ein zuverlässiger und vertrauensvoller Partner. Mit seinen Mitarbeitern pflegte er einen gerechten und fairen Umgang. Er nannte niemanden mit Vornamen, auch ihren Vater nicht, obwohl sie sich seit Jahren kannten. Er war gesundheitsbewusst, nahm Vitamine zu sich und fastete einmal in der Woche.
Er war ab 1937 Mitglied in der Sportgruppe Schild. Die Sportvereine Makkabi und Schild wurden gegründet, als jüdische Sportler nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten aus den Vereinen ausgeschlossen wurden. Beide Vereine führten eigene deutsche Meisterschaften durch. Weiterhin war er mit Mitglied beim Jüdischen Kulturbund. Der Kulturbund war eine Selbsthilfeorganisation für die mit Berufsverbot belegten jüdischen Künstler. Beide Vereine wurden von Julius Salomon finanziell unterstützt.
Nach der Emigration der Familie Wallersteiner blieb Julius Salomon in Ulm und musste danach von seinen Ersparnissen leben. Vermutlich fühlte er sich mit Mitte 70 zu alt, um in einem anderen Land einen Neuangang zu wagen. Nach der Reichspogromnacht musste er sich an einer Vermögensabgabe beteiligen. Sein Haus Ensingerstraße 3 wurde ab 1939 in eines von mehreren „Judenhäusern“ in Ulm umgewandelt. 1940 wohnten noch vier nicht-jüdische Familien im Haus, da es keine geeigneten Tauschwohnungen gab. Julius Salomon lebte dort nach dem Tod seiner Frau mit seiner langjährigen Haushälterin.
In seinem Haus hatte auch Dr. Ernst Moos seine Kanzlei, der von den Nationalsozialisten in seiner Funktion als Mitglied des Vorstands der jüdischen Kultusvereinigung Württemberg gezwungen wurde die Deportationen zu organisieren. Ab 1935 wohnte auch die Familie Wallersteiner in der Ensingerstraße 3. Julius Salomon wurde am 22. August 1942 von Stuttgart aus nach Theresienstadt deportiert und musste einen „Heimeinkaufsvertrag“ über 2000 Reichsmark unterschreiben.
Nach seiner Deportation wurden das Grundstück und das Vermögen von Julius Salomon auf Verfügung der Gestapo eingezogen. Das Grundstück wurde am 28. Juni 1944 auf Anweisung des Oberfinanzpräsidenten Stuttgart an die Stadt Ulm übertragen zur Errichtung eines Altersheimes und eines Heimes für die Berufsausbildung für Jugendliche. Das Haus wurde beim Luftangriff am 17. Dezember 1944 zerstört. 1949 erhielten die Nachkommen das Grundstück Ensingerstraße 3 zurück. Der Todestag von Julius Salomon war der 24. Dezember 1942.
Quellen:
Autor: Bernd Neidhart
Bildrechte: Stadtarchiv Ulm