Schwere Zeiten habe ihre Familie durchmachen müssen, erinnert sich Lotte Döll, die Schwester Reinhold Bürkles. Erst starb nach längerer Erkrankung ihre Zwillingsschwester Ilse, dann der Vater. Ihr Bruder Reinhold, ein „sehr gutmütiger und warmherziger Mensch“, habe sich in dieser Zeit „rührend um sie gekümmert“.
„Nur ungern“ sei der Bruder zum Militär gegangen, erzählt sie. „Aber er hat sich vorerst damit abgefunden.“ Lotte Döll sollte ihren Bruder nicht wieder sehen.
Reinhold Bürkle wurde am 22. März 1915 als erstes Kind von Emilia Wüst und Reinhold Bürkle, einem Angestellten der Stuttgarter Girokasse geboren. Im April 1920 kamen die Zwillinge Lotte und Ilse zur Welt.
Die Familie wohnte in der Langen Straße in Stuttgart. Die Geschwister verstanden sich gut und seien stets „füreinander da gewesen“, erzählt die Schwester. Lotte Döll erinnert sich, dass ihr Bruder ihr einmal „einfach so“ ein Fahrrad, damals ein wertvoller Besitz, geschenkt habe.
Im Alter von 12 Jahren starb Lottes Zwillingsschwester Ilse an einer Viruserkrankung. Der Vater, der am Ersten Weltkrieg als Soldat teilgenommen hatte, war schwer krank und starb 1934, nur ein halbes Jahr nach dem Umzug in das Haus, das er für die Familie gebaut hatte. Die Mutter kümmerte sich fortan allein um die Kinder, mit denen sie dann in der Reginenstraße 18 in Stuttgart-Degerloch lebte.
Nach seiner Schulzeit an einer Stuttgarter Volksschule absolvierte Reinhold Bürkle eine Ausbildung als Gärtner in der Nähe von Heidenheim. Die Arbeit habe ihm nach Aussage der Schwester viel Freude bereitet. In dieser Zeit lernte Reinhold ein Mädchen kennen, in das er sich verliebte und das „sehr an ihm gehangen“ habe. „Es war etwas Ernstes“, sagt Lotte Döll heute. Sie erinnert sich nicht mehr an den Namen der Freundin des Bruders, aber daran, dass dieser sie einige Male mit nach Hause brachte und dass das Mädchen auch nach dem Tod des Bruders noch lange Zeit den Kontakt zu ihr gesucht habe.
1940 wurde Reinhold Bürkle zur Ulmer Beobachtungs-Ersatz-Abteilung 5 einberufen und später zur Beobachtungs-Abteilung 35 versetzt.
Am 22. August 1941 entzog sich Reinhold Bürkle seiner Einheit. Nach Aussage seiner Schwester habe er Sehnsucht nach seiner Freundin gehabt und versucht, zu ihr zu kommen. Fünf Tage später wurde Haftbefehl gegen Reinhold Bürkle erlassen und steckbrieflich nach ihm gesucht. Noch am selben Tag übergab die Einheit die Fahndung an das zuständige Gericht. Wann und unter welchen Umständen er gefasst wurde, ist aufgrund fehlender Unterlagen nicht zu ermitteln. Fest steht jedoch, dass Bürkle im Ulmer Arresthaus inhaftiert war.
Am 18. Februar 1942 meldete die Genesenden-Batterie seiner Stammeinheit in Ulm: „Todesurteil durch Erschießen vollstreckt.“ Die Familie durfte Reinhold Bürkle vor seiner Hinrichtung nicht mehr in Ulm besuchen. Lotte Döll erinnert sich, dass sie und ihre Mutter nach der Hinrichtung nach Ulm beordert wurden, wo sie vom Tod des Bruders und Sohnes erfuhren.
Am 21. September 1946 stellte das Standesamt Stuttgart eine Sterbeurkunde für Reinhold Bürkle aus. Darin ist unerklärlicherweise als Todesursache angegeben „Selbstmord durch Erschießen.“ Der Leichnam Reinhold Bürkles wurde auf Wunsch der Familie am 24. Februar 1942 nach Stuttgart überführt und dort am 18. März 1942 in einer Urne im Familiengrab auf dem Pragfriedhof bestattet; später wurde die Urne auf den Alten Friedhof in Degerloch umgebettet. Das Grab ist mittlerweile verfallen.
Aus dem Buch „Deserteure und „Wehrkraftzersetzer“. Ein Gedenkbuch für die Opfer der NS-Militärjustiz in Ulm“ von Oliver Thron mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg in Ulm.