Ludwig Hecht wurde am 14. Oktober 1866 in Bonnland geboren (der Ort musste 1937 von seinen Bewohnern aufgegeben werden, weil dort der Truppenübungsplatz Hammelburg eingerichtet wurde). Er war der 3. Sohn von Pauline Hecht geb. Obermaier und Moses Wolf Hecht. 1871 verzogen die Eltern nach Würzburg, wo sein Vater als Immobilienagent den Familienunterhalt verdiente. Ludwig Hecht wurde, wie sein 1891 verstorbener Bruder Arzt. Nach seinem Studium übernahm er zunächst die Praxis seines erkrankten Bruders. Er zog jedoch 1891 nach Ulm,um dort eine Stelle als Assistenzarzt anzutreten. Hier heiratete er am 7. Sept 1893 Rosa Thalmessinger. Das Paar hatte 3 Kinder: Paul, Otto und Anneliese.
Ludwig Hecht war offenbar sehr bald ein beliebter und gefragter Arzt. Er praktizierte ab 1893 als niedergelassener praktischer Arzt und Geburtshelfer im Hafenbad , später in der Sattlergasse und ab 1910 in der Olgastr. 4, zuletzt ab 1932/33 bis 1938 in der Olgastr. 31 (heute Olgastr. 83-85). Er arbeitete seit 1906 auch als Armenarzt (Armenärzte waren von der Stadt beauftragte Ärzte, an die sich mittellose Ulmer wenden konnten). Rudolph C. Hecht (ein Enkel) beschreibt in seinen Erinnerungen, dass sein Großvater mit der Kutsche auch viele Hausbesuche auf dem Land machte und wenn notwendig nächtelang am Bett seiner Patienten blieb. Bei mittellosen Patienten habe er, statt einer Rechnung, bisweilen Geld auf dem Küchentisch zurückgelassen.
Am 19.4.1933 wurden per Verfügung des Staatskommissars für die Verwaltung der Stadt Ulm für die sozial Hilfebedürftigen die freie Arztwahl eingeführt. Das bedeutete jedoch gleichzeitig, dass die jüdischen Ärzte von der Versorgung dieses Personenkreises ausgeschlossen waren.
Seine Kassenarztpraxis konnte Dr. med. Ludwig Hecht noch bis Jan 1937 weiterführen, dann gab er seine Kassenzulassung zurück. Dass dies eine freiwillige Rückgabe war, muss sehr bezweifelt werden. Seit 1933 war der Druck auf die jüdischen Ärzte ständig erhöht worden: Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 verloren alle „nichtarischen“ Ärzte ihre Anstellungen im öffentlichen Gesundheitswesen, 1935 im Jahr der Verkündung der Nürnberger Rassegesetze war die Zulassung zur Facharztprüfung und die Approbation mit der Vorlage eines „Ariernachweises“ verbunden. 1936 erging ein Erlass, der es Beamten nicht gestattete, sich von jüdischen Ärzten behandeln zu lassen. Ab 1937 durften Juden keinen Doktortitel mehr erwerben.
Mit dem allgemeinen Approbationsentzug erfolgte im September 1938 das totale Berufsverbot für jüdische Ärzte, nur wenige durften als „jüdische Krankenbehandler“ weiterarbeiten.
Nach der Reichspogromnacht (9./10.11 1938)musste das Ehepaar Hecht aus ihrer Wohnung in der Olgastr. 31 in das Ghettohaus in der Ensingerstr. 3 umziehen, nachdem sie zuvor im Rahmen der auferlegten „Judenvermögensabgabe“ zahlreiche Wertgegenstände in der Stuttgarter Pfandleihanstalt abzugeben hatten, für die sie lediglich einen Bruchteil des realen Wertes angerechnet bekamen. Im Juni 1942 mussten die Hechts den Rest ihres Wohnungsinventars verschleudern, da sie zwangsweise in das im heruntergekommenen Oberstotzinger Schloss untergebrachte jüdische Altersheim umziehen mussten. Dort wurde das Ehepaar Hecht wenige Tage vor der Deportation am 15. 8. 1942 unter der Drohung, sie würden sonst ihr gesamtes Vermögen verlieren, zum Abschluss eines betrügerischen „Heimeinkaufvertrags“ über 25.000 RM für Theresienstadt gezwungen. Hierfür mussten sie ihr restliches Geld auf ein Sonderkonto der „Reichsvereinigung der Juden“ überweisen, wofür sie im Gegenzug das Anrecht auf einen Heimplatz, Verpflegung und Betreuung hätten erhalten sollen.
Am 19.8.1942 wurden sie mit allen anderen Bewohnern des Altersheims und auch dem jüdischen Personal nach Stuttgart und von dort am 22. 8. 1942 nach Theresienstadt deportiert. Rosa Hecht starb dort am 13.1.1943 an völligem Kräfteverfall infolge Unterernährung, Ludwig Hecht nur wenige Tage später am 21.1.1943.
Rosa Hecht geb. Thalmessinger wurde am 15. August 1870 in Ulm geboren. Sie war das 4. von insgesamt 10 Kindern des Bankiers Nathan Thalmessinger, die er mit seiner 2. Ehefrau Jette geb. Steiner hatte. Von seiner 1. Ehefrau, Karoline Reichenbach (1836 – 1861), hatte Nathan Thalmessinger bereits 5 Kinder. Rosa heiratete am 7. 9. 1893 den Arzt Dr. Ludwig Hecht. Das Ehepaar hatte 3 Kinder: Paul (1894-1979), Otto (1900-1973); Anneliese (1901-1982). Die Söhne Paul und Otto mussten bereits am 1. Weltkrieg teilnehmen- Paul schloss nach dem Krieg sein Medizinstudium ab und wurde Arzt in Stuttgart. Otto studierte Biologie und Chemie und begann eine Karriere als Entomologe ( Spezialist für schädliche Insekten), die ihn bis 1933 an das Tropeninstitut in Hamburg geführt hatte. Anneliese heiratete den sehr dynamischen Unternehmer Hans Geschmay aus Göppingen, dessen Vater dort die Württembergische Filztuchfabrik gegründet hatte.
Alle Kinder konnten sich mit ihren Ehepartnern und Kindern auf jeweils unterschiedliche Weise retten. Von Otto Hecht gibt es einen Brief von 1946 an seinen früheren Chef im Hamburger Tropeninstitut, Prof. Martini, in dem er diesen mit dessen Verhalten im 3. Reich konfrontiert, ihm aber auch vom Schicksal seiner Familie berichtet. Von seinem Sohn Rudolph C Hecht, gibt es Erinnerungen an seinen Eltern und Großeltern, die von Kalthoff in dessen Buch über Otto Hecht verwendet wurden. Auch Dr. Anna Laura (Hannelore) Geschmay-Mevorach hat in ihrem Buch viel über ihre Eltern und Großeltern zusammengetragen. Die beiden Großelternpaare von Anna Laura Geschmay wurden -zufällig im selben Transport- nach Theresienstadt deportiert. Anna Lauras Großeltern väterlicherseits, Pauline und David Geschmay, wird durch zwei Stolpersteine in Göppingen gedacht (http://www.stolpersteine-gp.de/?page_id=14).
Im Gegensatz zu Großvater Ludwig Hecht, den Hannelore als streng und manchmal ungeduldig empfand, hat sie ihre Großmutter Rosa Hecht als liebevoll und geduldig zugewandt erlebt. Im letzten Brief, den Rosa und Ludwig Hecht am15. 8. 42, ihrem Geburtstag, aus dem Altersheim Oberstotzingen wenige Tage vor ihrer Deportation an Anneliese Geschmay absenden konnten, schreibt Rosa Hecht:
Meine liebe Anneliese!
Kaum hier etwas seßhaft geworden, müssen wir unser Bündel schnüren u. wieder weiter wandern, mit uns trifft noch so viele Leute das gleiche Schicksal.
Wir bemühen uns den Kopf hochzuhalten u. standhaft zu bleiben, damit wir bei Kräften bleiben u. uns gesund erhalten können u. die Hoffnung auf ein späteres Wiedersehen mit Euch nicht aufgeben. Am meisten bedauerlich wäre, wenn wir mit Dir nicht weiter in regem Briefwechsel bleiben können.
Meine liebe gute Anneliese, vielen herzlichen Dank für all Deine Liebe. Wir erhielten sowohl all Deine Briefe, wie auch die 2 M. u. N. Päckchen, mit denen Du uns so erfreut hast u. den netten Brief der Kinder. Auch Hans herzlichen Dank für seine beigefügten lb. Zeilen.
Allerdings hätten wir uns einst unseren Lebensabend und so auch meinen 72. Geburtstag ganz anders gedacht. Ob Tante Else u. ihre alte Mutter u. Onkel Hermann auch zur gleichen Zeit fortkommt, darüber hörten wir in ihrem heutigen Brief zu m. Geburtstag noch nichts. Tante Else schrieb mir, Du hättest ihr in solcher Anhänglichkeit und Liebe geschrieben.
Ein eher netter Zufall war, dass wir heute gut nach langer Zeit über die Paul´schen hörten, sie seien der Praxis wegen mehr ins Zentrum der Stadt gezogen u. hoffen, dass sich dann die Praxis noch besser entwickelt. Von Otto erwähnte er nur, daß er zufriedenen Brief gehabt habe.
Nimm unseren Domizilwechsel nicht zu schwer, wir werden gedanklich viel beisammen sein; bleibe mit Deiner Familie recht gesund.
An Tante Maria, von der ich guten, großen Brief hatte, wollen wir morgen schreiben, unsere neueste Nachricht wird sie überraschend treffen. Von Nichte Johanna N. hatte ich auch netten lieben Brief, sie haben auch ihre Sorgen.
Nun Euch allen noch viele, innige Grüße. Beinahe hätte ich heute vergessen, mich heute für die zwei hübschen Bildchen der Kinder zu bedanken; Hannelore ist für ihr Alter schon eine recht große Töchter; Dorotea hat sich wenig verändert, aber Silvia ist viel schlanker geworden u. hat ein reizend liebes Gesichtle.
Habt weiter viel Freude an Eurem Dreimädelhaus u. seid mit denselben vielmals herzl. gegrüßt. Nun leb wohl, es umarmt u. küßt Dich aufs Innigste.
Deine treue Mutter
Rosa Hecht und ihr Mann starben wenige Monate nach ihrer Deportation
Autoren: Claudia Marano und Hartmut Schrenk
Bildrechte: Stadtarchiv Ulm, Anna Laura Geschmay Merovach.
Der Brieftext darf nur mit Genehmigung des Rechtsinhabers weiter veröffentlicht werden.