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Ansprache von Nicole Strate

Mein Name ist Nicole Strate.

Ich möchte Sie alle ganz herzlich begrüssen, auch im Namen meiner Familie, welche zu diesem besonderen Anlass mit mir aus der Schweiz hierher nach Ulm gekommen ist: mein Mann und unsere beiden Kinder.

Ich wurde von der Initiative gebeten, zur Stolperstein-Legung für meine Familie mütterlicherseits etwas Persönliches zu sagen.

August und Margarete Nathan waren meine Grosseltern, Luise Nathan meine Mutter und Erich mein Onkel. Mark Tritsch hat mich vor zwei Jahren zum 1. Mal kontaktiert wegen meines Onkels Erich, dessen Einsatz und Schicksal in der britischen Armee ihn besonders interessierte.

So habe auch ich begonnen, mich intensiver mit seinem Leben und dem Leben meiner Familie während der Nazizeit zu befassen. Dabei konnte ich auf einen reichen Fundus von persönlichen Dokumenten, Briefen, Tagebüchern und Fotos aus dieser Zeit zurückgreifen. Schlussendlich habe ich mit diesem Material im Hinblick auf die heutige Stolpersteinlegung ein Buch über die Ulmer Familie geschrieben.

Erst dadurch lernte ich meine Grosseltern, Mutter und mein Onkel wirklich näher kennen, ihre Geschichte und ihre Lebenseinstellung, was mich unendlich bereichert hat.

Ich danke deshalb der «Initiative Ulmer Stolpersteine» und insbesondere deren Mitglied Mark Tritsch ganz herzlich für ihre Arbeit und ihr Engagement, ohne welches ich nicht in dieser Weise über das Schicksal meiner Familie so «gestolpert» wäre und nun weitere Menschen an dieser Stelle über diese Steine stolpern können. Mögen sie Anlass sein zum Nachdenken und Nachfragen über die vergangene Zeit, wie auch zum Weiterleben in der Zukunft.

Vielen Dank auch an Herrn Gunter Demnig. Dass ich ihm (dem Urheber und Leiter des ganzengrossartigen Projekts Stolpersteine) hier persönlich danken kann, ist für mich eine ganz besondere Ehre.

Herzlich danken möchte ich auch Frau Dr. Wenge für ihre wertvolle Arbeit im Dokumentationszentrum.

Die vier Stolpersteine liegen nun hier an der Heimstraße 29 in Ulm, vor dem Haus, wo die Ulmer Familie von 1932 bis 1936 wohnte und ab August 1933 August Nathan seine Anwaltskanzlei noch hatte. In diesen Jahren begann für sie alle die systematische Ausgrenzung und Diskriminierung durch das NS-Regime und deren Vertreter in der Stadt Ulm.

Und dies allein aufgrund dessen, dass August als Jude geboren wurde. Er hatte bis dahin ein ganz normales unbescholtenes Leben geführt, war bestens integriert in der Ulmer Gesellschaft. Doch nur, weil er Jude war, wurden ihm und seiner Familie plötzlich das Recht auf ein solch normales Leben in Ulm und Deutschland aberkannt. Und dies nicht nur von staatlicher Seite, sondern auch von Bürgerinnen und Bürgern in dieser Stadt. Menschen, die ihn zuvor noch um juristischen Rat fragten, die mit ihm im Orchester musizierten, mit ihm auf der Donau ruderten oder in der Offiziersgesellschaft ihren Stolz mit ihm teilten über die gemeinsamen Verdienste im 1. Weltkrieg, wollten plötzlich nichts mehr mit ihm und seiner Familie zu tun haben oder diffamierten ihn sogar noch als Juden. Die Kinder konnten deshalb ihre Schulausbildung nicht mehr beenden und August kam nach der Reichskristallnacht ins KZ Dachau. So blieb ihnen nur noch die Flucht aus Deutschland.

Wie konnte diese Ausgrenzung nur passieren mit all den uns wohlbekannten schlimmen Folgen während der NS-Zeit, fragt man sich heute. Dabei fand alles ja erst vor rund 80 Jahren statt in einer Gesellschaft, die sich von der Unsrigen im Wesentlichen nicht allzu sehr unterschied. Oder liegt der wesentliche Unterschied doch darin, dass wir uns heute an das Geschehene erinnern können und müssen? – Dazu leisten die Stolpersteine, als inzwischen größtes dezentrales Mahnmal der Welt, einen unschätzbar wertvollen Beitrag in Deutschland, wie in vielen anderen Ländern.

Bevor Erich als britischer Soldat ein letztes Mal vor seinem Tod an die Front ging, um gegen das Hitler-Regime zu kämpfen, meinte er:

Der beste Dienst, den er nach dem Krieg leisten könne, wäre nach Deutschland zurückzukehren. Als Leiter einer Schule wollte er den jungen Deutschen etwas Besseres beibringen als die Lehren der Nazis.

Leider war ihm diese Aufgabe nicht vergönnt.

Doch sind die gelegten Stolpersteine hier bestimmt in seinem Sinne.