Responsive image

Dr. Ernst Moos

Stolperstein Ensingerstraße 3 (GPS 48.402126, 9.98938)

Ernst Jakob Moos kam als Sohn von Heinrich und Hannchen Moos, geborene Thalmessinger,  am 12. April 1884 in Ulm zur Welt. Ernst Moos hatte drei Brüder, die ebenfalls in Ulm geboren wurden: Friedrich Seligmann Moos am 15. Dezember 1879, Max Mosche Moos am 26. Mai 1881 und Ludwig Moos am 8. Januar 1890. Friedrich Seligmann Moos ist am 9. September 1918 früh verstorben ebenso wie der Bruder Max Moos nach seiner Emigration am 25. Dezember 1945 in New York.

Der Familienname Moos kam Anfang der 30er Jahre häufig in Ulm vor. Die Familienmitglieder waren häufig als Rechtsanwälte oder Kaufleute aktiv und in der damaligen Ulmer Stadtgesellschaft zunächst angesehen und integriert.  Das lässt sich auch daran ablesen, dass einige Mitglieder politische Ämter in Ulm innehatten. Der Onkel Salomon Moos I war ab 1904 im Bürgerausschuss der Stadt Ulm und von 1909 bis 1919 als Obmann im Gemeinderat. Der Cousin Siegfried Mann war von 1925 bis 1933 Gemeinderatsmitglied und Vorsitzender des Anwaltsvereins Ulm.

Im 1. Weltkrieg meldete sich Ernst Moos wie auch sein Bruder Ludwig als Freiwilliger. Er war ab dem 20. Januar 1915 Soldat im Feldartillerieregiment 49 bzw. im Württembergischen-Res.-Feld-Artillerie-Regiment Nr. 27 und  Batterieoffizier im Range eines Leutnants. Der Bruder Ludwig wurde wegen Kurzsichtigkeit als frontuntauglich eingestuft. Er wurde als Krankenpfleger ausgebildet und war von 1914 bis 1919 als Sanitäter im Soldatenheim Ulm.

Der „Centralverein deutscher Bürger jüdischen Glaubens“ hatte damals aufgerufen sich freiwillig zu melden. Von 110 jüdischen Männern im wehrfähigen Alter in Ulm waren 99 Kriegsteilnehmer. Für nicht wenige  jüdische Bürger war dies eine Selbstverständlichkeit, da sie sich zunächst als Deutsche, dann als Schwaben und erst dann als Juden sahen.  Viele Juden fühlten sich wegen ihres Einsatzes für das deutsche Vaterland lange Zeit auch vor den einsetzenden Repressalien geschützt.

Dr. Ernst Moos

Ernst Moos wurde mit den Eisernen Kreuzen I. und II. Klasse  ausgezeichnet. Nur insgesamt sieben jüdische Kriegsteilnehmer aus Ulm haben diese beiden Auszeichnungen erhalten. Wie sehr er sich mit der Verteidigung des deutschen Vaterlandes als Pflichterfüllung identifiziert hat, lässt sich daran ablesen, dass er 1925 in einer Schriftenreihe des Belser-Verlages im Band 36 zur  Geschichte des „Württembergischen-Res.-Feld-Artillerie-Regiment Nr. 27 im Weltkrieg 1916 -1918“ als Verfasser auftritt. Im Schlusswort schreibt er:

„In den Stäben, Batterien und Kolonnen trennte man sich in herzlichster Weise, jeder Einzelne nahm Abschied vom Freund und Kameraden, vom Vorgesetzten und Untergebenen. Nun ging es zurück zum Beruf, zu Pflug und Schraubstock, doch alles trug den Stolz in sich auf den Geist des Opfermuts, der unentwegten Treue, der Kameradschaft und Freundschaft, die sich tausendfachin Not und Tod bewährt. Wer sich aber Reserve 27er nennen durfte, wurde im Glauben an Volk und Vaterland geeint. So gingen sie als alte kampferprobte Soldaten,  jeder schlicht und recht, an ihre bürgerliche Arbeit,  jeder an seinen Platz zurück, mithelfend zum Wiederaufbau des geliebten deutschen  Vaterlandes, für das sie gelitten und gestritten und die Kameraden den Tod gefunden. Dass es Gott in der Zukunft wieder in altem Glanz erblühen lasse, sei unser letzter inniger Wunsch!“

Dr. Ernst Moos mit Hund

Er studierte vor dem Krieg Rechtswissenschaften und war in Ulm ab 1912 – unterbrochen durch seine Militärzeit – als Rechtsanwalt tätig.  Seine Kanzlei war zunächst in der Bahnhofstraße 18, von 1929 bis 1933 in der Hirschstraße 12 und ab 1935 in der Ensingerstraße 3 im Haus von Julius Salomon. Seine Wohnadresse war lange Jahre von 1912 bis 1931 in der Olgastraße 6, 1933 kurzzeitig in der Ehingerstraße 12 und dann ab 1935 wie seine Kanzlei in der Ensingerstraße 3.  Zunächst war er allein tätig, dann ab 1929 zusammen mit Dr. Hans Greiner. Die Kanzlei hieß dann Ernst Moos III & Dr. Hans Greiner und hatte sechs Angestellte. Am 29. Oktober 1938 wurde ihm als Jude durch die Nationalsozialisten die Zulassung entzogen,  er durfte im Anschluss nur als Rechtskonsulent für Juden weiterarbeiten. Dass ihm die Zulassung nicht schon viel früher  entzogen worden war lag an seinem Status als Frontkämpfer im 1. Weltkrieg.

Bei der Machergreifung der Nationalsozialisten 1933 waren beide Eltern bereits verstorben, sodass sich die Söhne auf sich gestellt in der neuen Situation zurechtfinden mussten. Ernst Moos und Max Moos wurden in der Reichspogromnacht im November 1938 verhaftet. Offensichtlich schätzten die Brüder die neue Situation unterschiedlich ein. Während Max Moos in die USA und Ludwig Moos nach Palästina flohen und klare Vorstellungen hatten, was von dem neuen Regime zu erwarten war, blieb Ernst Moos in Ulm. Max Moos wanderte mit seiner Frau Pauline, geb. Klein, am 21.Februar 1940 nach New York aus und ist dort am 25. Dezember 1945 verstorben.

Ludwig Moos zweiter von rechts mit Ulmer Malern und Künstlern

Ludwig Moos war Kunstmaler und zusammen mit Leo Kahn einer der herausragenden, auch national bekannten Ulmer Künstler. Er war ein vorzüglicher Illustrator und Karikaturist. Großer Beliebtheit erfreuten sich seine „köstlichen, überaus treffenden lokalen Karikaturen“. Als Porträtmaler hatte er zahlreiche Aufträge. Seine besondere Stellung lässt sich auch daran ablesen, dass er 1919 Gründungsmitglied der Künstlergilde Ulm und 1926/1927 deren Vorsitzender war. Der zunehmende Antisemitismus hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass er 1933 aus der Künstlergilde ausgetreten ist.

Am 4.  April 1936 wanderte er nach Palästina aus. Dort heiratete er noch im gleichen Jahr Ilse Laubhardt. Zunächst arbeitete er dort als Textilzeichner in Leo Kahns Textildruckerei, ab 1950 dann als Kunsterzieher in Ramat Gan östlich von Tel Aviv. Im Jahr 1955 ist er aus dem Schuldienst ausgeschieden. Danach konzentrierte er sich auf eigene Arbeiten und war als Privatlehrer tätig. In den Jahren 1952 bis 1962 stand er in Korrespondenz mit Hermann Hesse. 1954 hat er Ulm noch einmal besucht.

In den Folgejahren konnte er aus persönlichen Gründen keine weiteren Besuche mehr unternehmen, aber er fühlte sich mit seiner Geburtsstadt  weiter eng verbunden. Am 20.8.1967 ist er in Ramat Gan verstorben. Die Stadt Ulm und der Verband Bildender Künstler Württemberg haben das Schaffen beider Künstler im Jahr 1988 mit einer Ausstellung und Dokumentation mit dem Titel „Ludwig Moos, Leo Kahn: Jüdische Künstler zwischen Assimilation und Emigration – Dokumentation über Leben und Werk zweier Ulmer Maler“ gewürdigt.

Ernst Moos war durch seine vielen Funktionen wie als Vorsitzender des Mietervereins Ulm-Söflingen und des Mietervereins Ulm e.V., als Vorsitzender des jüdischen Kulturbundes, als stellvertretender Vorsitzender des Israelitischen Gemeinde-Vorsteheramtes und als stellvertretender Vorsitzender des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten herausragend  engagiert. Ernst Moos war als Persönlichkeit im Ulmer Stadtleben  bekannt sowie bestens vernetzt.

Stammtisch des Jüdischen Kulturbunds mit Dr. Ernst Moos ganz links (DZOK Archiv)

Er wurde als respekteinflößende Person von heiterer Natur und einer optimistischen Grundhaltung beschrieben. Vielleicht hat auch sein heiteres Naturell zusammen mit der Verpflichtung zu helfen dazu beigetragen, dass er sich versuchte mit dem System zu arrangieren und hoffte, dass es so schlimm doch nicht werden würde.

Damit geriet er natürlich auch ins Blickfeld der Nationalsozialisten, die gezielt Personen jüdischen Glaubens suchten, die sie missbrauchen konnten, um zunächst die gewünschte Auswanderung, dann immer mehr die Konzentration der Juden in sogenannten „Judenhäusern“ sowie letztlich die Deportation in die Konzentrationslager  organisatorisch abzuwickeln. Durch seinen Beruf als Jurist war er zudem noch besonders geeignet. Nach 1933 war er ein gefragter Mann bei der Abwicklung der Auswanderungsformalitäten sowie bei etwaigen Verkäufen von Liegenschaften und Unternehmen. Ab 1936 ging es dabei immer mehr um die „Arisierung“ der jüdischen Vermögenswerte.

Als Vertreter des israelitischen Gemeindevorsteheramtes war er dafür verantwortlich bis zum 1. Juni 1939 zu erfassen, welche Häuser im Eigentum von Juden waren und wo Juden wohnten. Rechtsgrundlage war eine Verordnung der Stadt Ulm vom 15. Mai 1939 auf Grundlage des Gesetzes vom 30. April 1939 (RGBL. I S. 864). Der Grundgedanke war die erleichterte Aufhebung von Mietverträgen mit Juden und eine möglichst weitgehende Zusammenfassung der Juden in sogenannten „Judenhäusern“.

Ernst Moos musste im Auftrag der lokalen Behörden die betroffenen jüdischen Familien informieren und die Umzüge organisieren. Aus dem Protokoll einer Beratung mit dem Oberbürgermeister vom 21. November 1941 ist zu entnehmen, dass die „Umsiedlung“ zu einem gewissen Abschluss gebracht ist. Folgende Adressen werden als „Judenhäuser“ genannt: Beyerstraße 54, Ensingerstraße 3, Neutorstraße 1 und 15 sowie Schuhausgasse 9.Die Neutorstraße 15 wurde dann von der Wehrmacht erworben und musste von den Juden bis spätestens 1. August 1942 geräumt werden. Eigentlich sollte die Umzüge bereits bis Ende 1939 erfolgt sein. Da für die notwendigen Wohnungstausche von jüdischen und „arischen“ Familien nicht genügend Wohnraum vorhanden war, war dies jedoch nicht möglich. Aus diesem Grund gab es auch 1941 weiterhin jüdische Familien in „arischen“ Häusern.

1940 wurde  er Mitglied des Vorstands der jüdischen Kultusvereinigung Württemberg und ab 1941 stellvertretender und geschäftsführender Vorsitzender des Vorstands sowie  nach der Verhaftung von Dr. Gumpel Vorsitzender der jüdischen Kultusvereinigung Württemberg. Die Nationalsozialisten bedienten sich dieser Organisation und in  dieser Rolle war er ab 1942 dafür verantwortlich die Deportationen in die Konzentrationslager organisatorisch abzuwickeln. Dazu gehörte auf Weisung von Gestapo und SS auch die Auswahl und Information der Betroffenen. Die Gestapo beschränkte sich auf die Überprüfung der Deportationslisten bezüglich Anzahl und altersmäßiger Zusammensetzung.

Unklar ist, ob und wenn ja in welchem Umfang er das System durchschaute und daran glaubte, dass die Betroffenen in den Zielorten gute Lebensbedingungen haben würden. Möglicherweise hat ihn seine Militärzeit im 1. Weltkrieg mit dem dort gelernten bedingungslosen Gehorsam und der Pflichterfüllung sowie die zumindest in dieser Zeit starken Identifikation mit dem „deutschen Vaterland“ so geprägt, dass er sich der eingeforderten Verantwortung nicht entziehen wollte oder konnte. Die ganze Perfidität des nationalsozialistischen Systems kam zum Ausdruck, als die für die Abwicklung der Deportationen verantwortliche jüdische Kultusvereinigung am 10.6.1943 aufgelöst wurde. Er wurde nur wenige Tage später verhaftet  und am 18. Juni 1943 mit dem Transport XIII/3 von Stuttgart nach Theresienstadt deportiert.

In Theresienstadt traf er mit Resi Weglein und ihrem Mann alte Bekannte aus Ulm, die beide  das Konzentrationslager überlebten.  Resi Weglein schildert in ihrem Buch, dass er über die Lebensbedingungen entsetzt war, „wie schlecht sie alle auf dem Dachboden untergebracht seien, wie entsetzlich das Essen, wie furchtbar überhaupt das Leben im Ghetto  sei“. Nach vier Wochen hatte er laut Resi Weglein einen Posten bei der „Wirtschaftsüberprüfstelle“. Sie wurde ab 1942 als Teil einer Abteilung „Sicherheitswesen“ unter jüdischer „Selbstverwaltung“ eingerichtet, und zwar gegen Betrug und Korruption bei der Lebensmittel- und sonstigen Sachgüterzuteilung.

Vermutlich hat diese Stellung mit dazu beigetragen, dass er die dortigen Bedingungen bis Oktober 1944 überlebte. Am 28. Oktober 1944 wurde er zusammen mit über 2000 anderen Juden mit dem letzten Transport aus Theresienstadt nach Ausschwitz deportiert. Der Zug kam am 30. Oktober 1944 in Auschwitz an. Ein Großteil wurde unmittelbar nach der Ankunft in den Gaskammern ermordet. Ein genauer Todestag ist nicht bekannt.

 

Quellen:

  • Stadtarchiv Ulm
  • Heinz Keil: Dokumentation über die Verfolgungen der jüdischen Bürger von Ulm/Donau, Ulm 1961
  • Nachlass Heinz Keil im Stadtarchiv Ulm
  • Ingo Bergmann: Und erinnere dich immer an mich – Gedenkbuch für die Ulmer Opfer des Holocaust, Ulm 2009
  • Nachlass Ingo Bergmann im Stadtarchiv Ulm
  • Staatsarchiv Ludwigsburg: Familienregister der jüdischen Gemeinde Ulms, Wiedergutmachungsakten
  • Leutnant d.R.a. D. Ernst Moos: Das Württembergischen-Res.-Feld-Artillerie-Regiment Nr. 27 im Weltkrieg 1916 -1918, Stuttgart 1925.
  • Myrah Adams Rössing: Ludwig Moos und Leo Kahn: Jüdische Künstler zwischen Assimilation und Emigration – Dokumentation über Leben und Werk zweier Ulmer Maler, Ulm 1988
  • Künstlergilde Ulm: 100 Jahre Künstlergilde Ulm und Ulmer Schule, Ulm 2019
  • Resi Weglein: Als Krankenschwester im KZ Theresienstadt, Stuttgart 1988
  • Adressbücher der Stadt Ulm

Autor: Bernd Neidhart

Bildrechte: Stadtarchiv Ulm