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Familie Frenkel

Stolpersteine Olgastraße 114 (GPS 48.402106, 9.994395)

 

Adolf Frenkel wurde am 28.01.1904 in Lodz geboren. Er erhielt ursprünglich den Vornamen Abraham, wurde aber mit der Übersiedelung seiner Eltern nach Deutschland Adolf genannt. Seine Eltern Ida, geb. Chaskelowitz, und Jakob Frenkel zogen auf Empfehlung eines Verwandten, Max Wagowski, zuerst von Lodz nach Stuttgart, von dort aus im November 1908 nach Reutlingen und übersiedelten dann mit ihren beiden kleinen Söhnen Adolf und Wilhelm, geb. 13.06.1908, im April 1910 nach Ulm.

Ida Frenkel vor ihr erstes Tabakgeschäft in Ulm

Ida Frenkel vor ihr erstes Tabakgeschäft in Ulm

In beiden Städten gründete die Familie „Tabak- und Zigarrenhandlungen“, zeitweise sogar mit Filialen. Die erste Eintragung im Ulmer Adressbuch findet sich 1912 in der Hafengasse 1. Anfangs befanden sich die Wohnungen im gleichen Haus wie die Geschäfte. Seit 1919 wohnte die Familie in Ulm, Olgastr. 64 (heute Nr. 114). 1921 konnten Adolfs Eltern das Haus kaufen. Adolf besuchte vier Jahre die Volksschule, dann die Mittelschule, das „Einjährige“ hat er jedoch nicht abgelegt. Er machte eine kaufmännische Ausbildung, trat Mitte der 1920er Jahre in die Tabakhandlung seiner Eltern ein und arbeitete mit ihnen in den verschiedenen Geschäften zusammen. Aber Adolf Frenkels Sohn Henry, der in den USA lebt, zitiert zu diesem Thema seinen Großvater, der wohl gesagt habe: „he was a scholar rather than a businessman“. Man kann vermuten, dass Adolf gerne weiter die Schule besucht und studiert hätte.

Ida und Jakob Frenkel mit den Söhnen Wilhelm und Adolf (ca. 1910)

Ida und Jakob Frenkel mit den Söhnen Wilhelm und Adolf (ca. 1910)

Am 20.03.1930 heirateten Adolf Frenkel und Martha Einstein, die am 04.02.1906 in Fellheim, einer schwäbisch-jüdischen Landgemeinde nördlich von Memmingen, geboren wurde. Marthas Eltern waren der Fellhändler Isaak Einstein (geb. 02.06.1866 in Fellheim) und Bertha Einstein (geb. Mayer, am 03.01.1870 in Barbach bei Meiningen). Adolfs jüngerer Bruder Wilhelm, der am 13.06.1908 in Reutlingen geboren wurde, machte ebenfalls eine kaufmännische Lehre im „Kaufhaus Gebrüder Landauer“, dem ersten Kaufhaus Ulms. Er wechselte dann in eine Privatbank und nahm anschließend eine Stelle bei dem großen Kaufhaus Schocken in Frankfurt an. 1934, nachdem die Nazis die Macht übernommen hatten, wurde er von seiner Firma nach Palästina entsandt, um dort Aufgaben zu übernehmen.

Am 20.06. 1933 wurde Adolf und Martha Frenkels Sohn Heinz Joachim in Ulm geboren. Der heute 81jährige Henry Frankel lebt in Peabody, Massachusetts, USA. Er erinnert sich aus den ersten Lebensjahren in Ulm, dass seine Eltern nicht besonders religiös waren, seine Mutter aber im Synagogenchor gesungen hat und dass jeden Freitag das Sabbatritual feierlich begangen wurde. Außerdem waren Adolf und Martha Mitglieder im jüdischen Kulturverein, mit dem sie bereits damals gemeinsam zum Skifahren gegangen sind. Adolf besaß ein Motorrad, auf dem er Heinz regelmäßig mitnahm. Adolf und Martha hatten ihren kleinen Sohn in einem katholischen Kindergarten untergebracht, sodass er noch mit anderen Kindern spielen konnte, als viele jüdische Kinder längst vom Umgang mit ihren Schulkameraden ausgeschlossen waren.

In dieser Zeit muss es auch gewesen sein, dass Adolf Frenkel in Anbetracht der für Juden bedrohlicher werdenden Lage Frieda, eine Tante seiner Frau, in Kalifornien besuchte. Sie war mit dem ehemaligen Boxweltmeister Jim Jeffries verheiratet, den sie kennengelernt hatte, als er zu Boxschaukämpfen in Europa war. Seine Hoffnung war, dass sie ihm behilflich sein könnte, in Amerika eine Arbeitsstelle zu bekommen. Das gelang leider nicht, weil sich das Land gerade in einer Wirtschaftskrise befand und sich die Amerikaner Ausländern gegenüber eher abweisend und misstrauisch verhielten. So musste Adolf Frenkel wieder nach Ulm zurückkehren, wo sich aufgrund der bereits am 01.04.1933 beginnenden „Juden-Boykott“-Aktion die Bedingungen für jüdische Geschäftsinhaber zunehmend verschlechterten. Familie Frenkel konnte zwar bis 1938 vom Umsatz ihres Geschäftes leben, hatte davor aber bereits die Filiale aufgegeben und den Betrieb schrittweise verkleinert.

Adolf und Martha Frenkel mit Heinz

Adolf und Martha Frenkel mit Heinz

Am 28.10.1938 wurde die gesamte Familie Frenkel zusammen mit 3 weiteren jüdischen Familien im Rahmen der „Polenaktion“ nach Polen deportiert. Das bedeutete, sie wurden mitten in der Nacht gezwungen, in ganz kurzer Zeit ein paar Habseligkeiten zusammenzupacken und sich am Bahnhof einzufinden, von wo aus sie in überfüllten Eisenbahnwaggons unter unmenschlichen Umständen an die polnische Grenze gebracht wurden. Das NS-Regime begründete die brutale Aktion damit, dass es sich bei den insgesamt 17.000 jüdischen Bürgern um ursprünglich polnische Staatsbürger handelte, die im Rahmen der sich abzeichnenden Vertreibung der Juden außer Landes geschafft werden sollten. Dabei hatte ein Großteil der Menschen entweder keinerlei Bindung mehr an Polen (Adolf Frenkel) oder war nie in Polen gewesen (Martha und Heinz Frenkel u.v.a.) Die kurz danach stattfindende Reichspogromnacht (09.11.1938) machte die Zielrichtung der Aktion nochmal deutlich.

In Polen lebten die Deportierten unter ärmlichsten, teilweise lebensbedrohlichen Bedingungen. Hilfe bekamen sie nur von der polnisch-jüdischen Gemeinde. Nachdem den Nazis bewusst wurde, dass sie vor der Deportation „vergessen“ hatten, die jüdischen Mitbürger zu enteignen, wurde ihnen die Wiedereinreise zu dem Zweck gestattet, ihren Besitz zu verkaufen. Das betraf Jakob Frenkel, der wieder nach Polen zurückgeschickt wurde, nachdem er das Wohnhaus weit unter Preis verkauft hatte. Das Zigarettengeschäft wurde nicht wie andere Geschäfte „arisiert“ sondern aufgelöst mit der Begründung: „Seine Erhaltung ist zur Sicherstellung des Bedarfs der Bevölkerung nicht erforderlich“. An dieser Maßnahme waren die Gestapo und die Kreisleitung der NSDAP, aber auch das Wirtschaftsministerium in Stuttgart, die IHK und die Stadtverwaltung Ulm beteiligt.

Jakob und Ida Frenkel lebten nach der Deportation in Zdunska Wola, dem Geburtsort Idas. Das letzte Lebenszeichen von ihnen ist eine Karte, die sie am 04.06.1941 an Heinz und Martha in Baltimore geschrieben haben. Danach verliert sich ihre Spur. Aber man darf sicher annehmen, dass sie ermordet wurden. Denn das Ghetto in Zdunska Wola wurde am 24.08.1942 aufgelöst und ca. 1000 Bewohner wurden ins Ghetto Lodz überstellt, 500 wurden an Ort und Stelle ermordet und 6000 – 8000 Juden wurden ins Vernichtungslager Chelmno gebracht.

Letztes Lebenszeichen von Jakob und Ida Frenkel aus Zdunska Wola in 1941

Letztes Lebenszeichen von Jakob und Ida Frenkel aus Zdunska Wola in 1941

Adolf, Martha und Heinz Frenkel, konnten zurückkommen, weil Martha in Deutschland geboren war. Sie lebten nach dem Verkauf des Besitzes nicht mehr in Ulm sondern in Stuttgart, Urbanstr. 26a, wo Heinz in der jüdischen Schule eingeschult wurde. Gleichzeitig setzten Adolf und Martha alle Hebel in Bewegung, um ihm mit Hilfe der Organisation „German-Jewish children’s aid“ die Rettung in die USA zu ermöglichen. Obwohl es ihnen fast das Herz brach knüpften sie Kontakte und halfen ihm, dass er mit seinen gut 6 Jahren ganz schnell selbständig wurde und schrieben zu Herzen gehende Briefe an die zukünftigen, ihnen unbekannten Gasteltern. Neben ihrem tiefen Schmerz und der Unsicherheit, ob sie einander je wiedersehen würden, geht aus den Briefen deutlich hervor, wie wichtig es ist ihnen war, dass sich Heinz rasch in Amerika einlebt und die Schule besucht.

Im Februar 1940 war es so weit, Martha Frenkel begleitete ihren kleinen Heinz von Stuttgart nach München, von wo aus er mit dem Zug nach Genua fuhr, wo er und weitere jüdische Kinder die abenteuerliche Schiffsreise nach New York begannen. Er lebte die ersten eineinhalb Jahre bei zwei Gastfamilien, zuerst drei Monate bei den Snowwhites und anschließend bei Hoffbergers. Beide Male wurde er sehr herzlich aufgenommen, lernte den „american way of life“ kennen und setzte auch selbst alles dran, in seinem neuen Heimatland Wurzeln zu schlagen.

Er entwickelte ein starkes Bedürfnis, sein Leben nach seinen eigenen Bedürfnissen zu gestalten und nicht noch einmal unter der Herrschaft anderer Menschen leiden zu müssen. Er wandte sich ganz bewusst der englischen Sprache und dem Leben in der amerikanischen Gesellschaft zu und brach innerlich den Kontakt mit allem ab, was mit Deutschland zu tun hatte. Er leistete seine Militärzeit ab, studierte und wurde Ingenieur im Chemiebereich, später lehrte er an der Universität. 1961 heiratete er seine Studienkollegin Helene Mangel, die in New York geboren wurde. Ihre Eltern waren aus Osteuropa eingewandert. Ein großer Teil der Familie von Helenes Vater, der in Warschau geboren war, wurde im Holocaust ermordet. Die Familie bekam drei Kinder, Donna, Alan und Steve.

Nachdem Henry Frankel zu den ca. 1000 Kindern gehört hatte, denen die Emigration in die USA das Leben gerettet hatte, gründete er im Jahre 2000 mit weiteren Überlebenden die Organisation „One Thousand Children“, die es sich zur Aufgabe machte, das Schicksal der geretteten Kinder wissenschaftlich aufzuarbeiten und dieses Wissen an deren Nachfahren und amerikanische Schulkinder weiterzugeben. Darüber hinaus engagierte er sich, solange es sein Gesundheitszustand zuließ, für Kinder, die elternlos in die USA kommen.

Auch Martha gelang die Emigration in die USA. Frieda und Jim Jeffries hatten ihr geholfen, ein Visum für Kalifornien zu bekommen, sodass sie im September 1941 mit dem Schiff von Lissabon aus nach New York fliehen konnte. Bald zog sie mit Heinz gemeinsam in den Norden von New York, wo auch viele andere Emigranten aus Europa dabei waren, sich eine neue Heimat aufzubauen, Läden aufzumachen, Vereine zu gründen und das religiöse Leben zu pflegen. Martha Frenkel suchte sich Arbeit als Hausangestellte und Schneiderin, um den Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn zu bestreiten. Das Leid über die Vertreibung und den Verlust ihres Mannes und ihrer Eltern und Schwiegereltern hatte natürlich tiefe Spuren hinterlassen. Hinzu kam noch, dass sie erst nach einem jahrelangen Wiedergutmachungsverfahren eine Witwenrente und die Rückerstattung von Guthaben (im Verhältnis von 5:1) und Hausbesitz zugesprochen bekam. Sie heiratete in den USA noch einmal, hieß dann Martha Bamberger und verstarb am 31.03.1995 in New York.

Adolf Frenkel musste in Stuttgart bleiben, er bekam kein Visum für die USA, weil er staatenlos war. Er versuchte Arbeit zu bekommen um sich über Wasser zu halten. So arbeitete er vom 05.06. bis 13.09.1941 als Hilfsarbeiter bei der Firma Gottlob Weinmann in Stuttgart-Degerloch. Er muss in dieser Zeit öfter umgezogen sein. Bis März 1941 war er in Stuttgart, Im Kaisemer 25, bei Familie Ullmann gemeldet, in einem nicht bekannten Zeitraum bei Familie Ziegler in Stuttgart, Urbanstr. 40 und ab Oktober 1941 in Stuttgart, Bernhäuser Str. 18.

Am 01.12.1941 wurde er durch die Gestapo Württemberg-Hohenzollern gemeinsam mit weiteren 1013 Juden nach Riga deportiert, wo der Transport am 04.12.1941 ankam. Dort wurde er 1942 unter nicht genau bekannten Umständen im „Arbeitserziehungslager“ Salaspils ermordet. Das berichtete ein überlebender Mithäftling, Herr Rosenstrauch, der jüdischen Kultusgemeinde Stuttgart nach dem Krieg. Sie informierte eine Cousine von Martha Frenkel darüber, woraufhin Adolf Frenkel am 14.10.1947 vom Amtsgericht zum 31.12.1942 für tot erklärt wurde.

Quellen:

  • Ingo Bergmann, Und erinnere dich immer an mich, Gedenkbuch für die Ulmer Opfer des Holocaust, Ulm 2009
  • Adressbücher der Stadt Ulm
  • Ingo Bergmann + Silvester Lechner, Lodz – Ulm – New Jersey, Die Geschichte der jüdischen Familie Frenkel, die 1938 aus Ulm vertrieben wurde
  • Bernd Serger + Karin-Anne Böttcher, Es gab Juden in Reutlingen, Ein historisches Lesebuch
  • Heinz Keil, Dokumentation über die Verfolgungen der jüdischen Bürger von Ulm/Donau, 1961
  • Stadtarchiv Reutlingen, Auszug aus dem Personen- und Adressbogen
  • ITS Bad Arolsen, Informationen vom Referat Nutzerservice
  • Informationen von Henry und Alan Frankel, per e-mail und durch persönlichen Kontakt mit Silvester Lechner übermittelt
  • Wiedergutmachungsakten, Staatsarchiv Ludwigsburg

Autorin: Angelika Dworschak

Bildrechte: Stadtarchiv Ulm, DZOK, Henry Frankel.