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Familie Mayer

Am Ulmer Weinhof, nahe bei der ehemaligen Synagoge, gab es von 1901 bis 1940 eine kleine Privatbank, die jüdische Besitzer hatte. Die Adresse war Weinhof 6 und der Eigentümer hieß Emil Mayer, geboren 1871 in Ulm und dort 1938 verstorben. Verheiratet war er mit Julie Mayer, geb. Kiefe, geboren 1881. Dem Ehepaar wurden vier Kinder geboren: Gertrud, Friedrich, Marie und Lotte. Nachdem die am 3. April 1904 geborene Gertrud schon im frühen Kindesalter am 25. Mai 1907 verstorben ist, war Friedrich, der zeitlebens Fritz genannt wurde, das älteste Kind der Familie. Er wurde am 20. Januar 1906 in Ulm geboren und starb mit 33 Jahren.

 

Weinhof 6, das Giebelgebäude in der Mitte.Das Gebäude stand an der Ecke Weinhofberg. Das Foto wurde von einem Standort aufgenommen, der ungefähr heute der neuen Synagoge entspricht.

 

Friedrich Mayer volontierte im Bankgeschäft seines Vaters, im Bankhaus Stuber in Stuttgart und im Bankhaus Aufhäuser in München. Ab etwa 1927 war er ständiger Mitarbeiter seines Vaters in Ulm und führte nach dessen Tod im April 1938 zusammen mit seiner Mutter das Bankgeschäft, das freilich zu dieser Zeit bereits infolge des Boykotts jüdischer Geschäfte im Niedergang begriffen war. Friedrich wurde in der „Kristallnacht“ am 9. November 1938 aus dem Bett geholt, schwer misshandelt und mit ca. 52 anderen männlichen Juden aus Ulm, Laupheim und Buttenhausen ins KZ Dachau gebracht. Dort wurden ihm, der an Leukämie erkrankt war, lebensnotwendige Medikamente vorenthalten. Nach vierwöchiger Haft wurde er am 12. Dezember 1938 aus dem Konzentrationslager entlassen. Zuvor hatte er dem Verkauf seines BMW an den Ulmer Polizeidirektor Dreher zustimmen müssen, der ihm sein hochwertiges Fahrzeug für einen Bruchteil des tatsächlichen Marktwertes abnahm. An den gesundheitlichen Folgen seiner Inhaftierung verstarb er wenige Wochen darauf am 17. März 1939 im Bethesda-Krankenhaus als zweites Opfer der Judenverfolgung in Ulm.

Die Tochter Marie, geb. am 07. Januar 1908, besuchte die Haushaltungsschulein Ulm und ging danach zur weiteren Berufsausbildung an die Wohlfahrtsschule der Frauenakademie in Düsseldorf. Nach einem Praktikum in Frankfurt ging sie nach Berlin und besuchte dort die Wohlfahrtsschule, die sie im März 1930 als Wohlfahrtspflegerin verliess. Sie arbeitete in der Folge als Gesundheitsfürsorgerin beim Hauptgesundheitsamt in Berlin bis Juni 1933. Sie wurde mit Schreiben des Oberbürgermeisters von Berlin vom 6. April 1933 aus rassischen Gründen aus dem Dienst entlassen und sah keine Möglichkeit mehr, in Deutschland eine Arbeitsstelle zu finden. Deshalb verließ sie noch im selben Jahr Deutschland und fand eine Arbeitsstelle als Pflegerin in Bessarabien. Nach Beendigung dieses Dienstverhältnisses kehrte sie noch einmal ins elterliche Haus nach Ulm zurück, um im März 1935 endgültig nach Palästina auszuwandern. Dort arbeitete sie als Krankenschwester und nach einer weiteren Ausbildung als Hebamme in einem Hospital. Bis zu ihrem Tod 1980 blieb sie in Israel.

Lotte, die jüngste Tochter der Familie war am 16. Dezember 1908 in Ulm geboren. Sie machte eine Ausbildung zur Krankenschwester in Ulm und arbeitete zunächst hier und später am Israelischen Krankenhaus in München.Nach einer Teilnahme an einem Kurs für Tropenkrankheiten in Tübingen wanderte sie aufgrund der unerträglichen Lebensumstände am 26. Februar 1935 nach Palästina aus, wo sie zunächst im Jüdischen Hospital in Bagdad arbeitete. In Tel Aviv heiratete Lotte Mayer im September 1938 ihren Ulmer Jugendfreund Willi Frenkel. Das Ehepaar kehrte im August 1950 nochmals nach Deutschland zurück, um ein Jahr später von dort weiter nach Amerika auszuwandern. Sie lebten in New York, wo Lotte 2010 im Alter von 102 Jahren verstorben ist.

Die Mutter Julie Mayer, geb. am 29. Oktober 1881, die nach dem Tod ihres Mannes im April 1938 zusammen mit ihrem Sohn Fritz das Bankhaus weiterführte, musste die Bank zum 31. März 1939 liquidieren, kurz nachdem ihr Sohn verstorben war. Das Bankgeschäft wurde von der„Württembergischen Bank“ übernommen. Am 6. August 1939 erfolgte die Zwangsräumung ihrer Wohnung im Weinhof 6. Ihre Tochter Lotte und deren Ehemann Willi Frenkel durften mit einer Sondergenehmigung aus Israel anreisen, um der Mutter zu helfen. Der kostbare Hausrat, u.a. ein Ulmer Schrank, wurde großenteils verschleudert. Lotte und Willi Frenkel hatten für sich Koffer gepackt. Diese sollten nach Israel verschickt werden, sind jedoch in Stuttgart bei der Spedition Bar-Boering verbrannt. Julie beabsichtigte nach Israel auszuwandern, was aber nicht vollzogen werden konnte, da sie am 17. Juli 1939 nach Stuttgart verzog und dort schon am 12. Juni 1940 verstarb.

Im Haus der Familie wohnte auch Jette Mayer. Sie kam am 1. Juni 1870 als drittes Kind von insgesamt sechs Kindern der Eheleute Heinrich und Lina Mayer in Ulm zur Welt. Sie war eine Schwester von Friedrichs Vater Emil Mayer, dem Eigentümer des Bankgeschäfts. Sie lebte bei ihrem Bruder am Weinhof 6 bis das Gebäude nach der Liquidierung der Bank veräußert werden musste. Jette wurde am 1. September 1942 mit dem ebenfalls aus Ulm stammenden Max Guggenheimer nach Theresienstadt deportiert, wo sie nur einen Monat später am 4. Oktober 1942 ermordet wurde.

Quellen:

Ingo Bergmann, Und erinnere dich immer an mich, Gedenkbuch für die Ulmer Opfer des Holocaust, Ulm 2009
Adressbücher der Stadt Ulm
Heinz Keil, Dokumentation über die Verfolgungen der jüdischen Bürger von Ulm/Donau, 1961
Stadtarchiv Ulm, Auszug aus den standesamtlichen Familienregistereinträgen
Wiedergutmachungsakten, Staatsarchiv Ludwigsburg
DZOK-Mitteilungen Heft 55, 2011

Autor: Hartmut Fröhner