Lebensdaten von Jonathan Stark
8. Juli 1926 in Ulm, in der Kronengasse 8 geboren
1. November 1944 im KZ Sachsenhausen hingerichtet
Jonathan wurde „Jonni“ genannt („J“ wie „Jugend“, nicht „Dschonny“)
Nach der Volksschule (Wagnerschule ab 1937, zuletzt Blauringschule) ging er in eine Lehre als Lithograph bei der Firma Walcher in Ulm. Jonni war musikalisch und zeichnerisch sehr begabt.
Noch während der Lehrzeit bekam er am 1. Oktober 1943 einen Stellungsbefehl zum „Reichsarbeitsdienst“ in Deisslingen bei Tuttlingen. Dort verweigerte er unter anderem eine Hakenkreuz-Binde an der Uniform mit der Bemerkung, „ich werde kein gebrochenes Kreuz an meinem Arm tragen“. Er verweigerte auch einen Spaten, mit dem Gewehrübungen gemacht werden sollten und er verweigerte den Diensteid.
Am 1. Dez 1943 teilte der „Reichsarbeitsdienst, Gau XXVI, Württemberg“ den Eltern mit, dass Jonathan „wegen Dienst- und Eidesverweigerung von der Geheimen Staatspolizei in Schutzhaft genommen“ worden sei. Er wurde im Februar 1944 ins Jugend-KZ Moringen (heute Niedersachsen) verschleppt. Ungefähr im Oktober 1944 kam er ins KZ Sachsenhausen. Dort wurde er am 1. November 1944 ohne Prozess hingerichtet.
2013: Im Böfinger Neubaugebiet „Am Lettenwald“ ist eine Straße nach Jonathan Stark benannt; außerdem ist er in der Dauerausstellung der Volkshochschule mit dem Titel, „wir wollten das andere“ (seit 2000) mit einem Foto und biografischen Notizen vertreten.
Eltern und Familie
Vater Eugen Stark wurde 1901 in Stuttgart geboren und kam dort 1919 in Kontakt mit den Zeugen Jehovas, damals „Bibelforscher“ genannt. 1921 zog er nach Ulm und heiratete dort 1924 Berta Scheibe. 1926 wurde als erstes Kind Jonathan, um 1940 wurde dessen Bruder Rolf geboren. Eugen Stark war gelernter Elektrotechniker, in den 30er-Jahren Werkstattleiter der Firma Reisser am Hauptwachplatz (Lange Straße 8).
Im Dezember 1943 wurde er von der Gestapo am Arbeitsplatz verhaftet, da sein damals noch minderjähriger Sohn beim Arbeitsdienst sich den Nazi-Symbolen verweigert hatte. Er kam in U-Haft im Ulmer Frauengraben und von dort über die Gestapo-Zentrale in Stuttgart in „Schutzhaft“ ins KZ Welzheim (Feb. 1944). Im Januar 1945 kam er wieder nach Stuttgart und wurde schließlich vor Kriegsende zusammen mit etwa 200 Häftlingen „evakuiert“, d.h. auf einen Todesmarsch geschickt. Stark konnte um den 20. April zu seiner Familie in Arnegg fliehen.
Die zweite Frau von Eugen Stark, Maria, die er nach der Scheidung von Berta Stark 1945 heiratete, ist heute (2013) 100 Jahre alt und lebt in Eggingen. Eugen Stark arbeitete nach dem Mai 45 zunächst für die amerikanische Militärregierung. Danach gründete er im November 1945 zusammen mit Roman Sobkowiak das erste Ulmer Nachkriegskino in der ehemaligen Reithalle der Sedanskaserne. Es hieß „Ulmer Lichtspiele“ , später „Skala“. Eugen Stark ist am 15.11. 1974 verstorben.
Ulmer Wohnungen der Familie und letzter Wohnsitz von Jonni
1926 : Kronengasse 8
1932/ 33: An der Baindt
1934: Yorkstraße 20
1936: Gemeinde Klingenstein, Arnegg
1940-42: Wagnerstraße 107
Sommer 1942: letzter Wohnort von Jonni: Profosengasse, heute Herdbruckerstraße 6, mit Front zur Stadtmauer/Donau; Eigentümerin heute: Familie Langbein; damals: Drogist Roschmann. Das Obergeschoß des Hauses wurde am 1.3. 1945 in einem Bombenangriff zerstört.
Zeugen Jehovas in der NS-Zeit
Die Religionsgemeinschaft der „Zeugen Jehovas“ entstand um 1880 in den USA und etablierte sich um 1900 im Deutschen Reich, in Ulm etwa 1910 (vgl. Ulmer Adressbuch 1929 unter „Religiöse Vereine“). 1926 wurde sie als „Internationale Bibelforscher-Vereinigung“ ins Vereinsregister eingetragen. Seit 1931 nannte sie sich offiziell „Jehovas Zeugen“, nachdem sie vorher meistens als „Ernste Bibelforscher“ bezeichnet worden war.
1933 gab es etwa 25.000 bis 30.000 Mitglieder, das waren etwa 0,038 % der deutschen Bevölkerung. In Ulm und seiner württembergischen und bayerischen Region bekannten sich 1933 etwa 60 Menschen zu „Jehovas Zeugen“. Im Nazi-Staat wurden sie endgültig am 24. Juni 1933 verboten. Da sie nur die Herrschaft Gottes anerkannten und den Hitlergruß, den Führerkult, Nationalismus, Rassismus und den Kriegsdienst ablehnten und nach dem Verbot sich weiter privat trafen, waren sie schwersten Verfolgungen ausgesetzt. Vor der Großen Strafkammer des Ulmer Landgerichts waren im Jahr 1935 43 „Zeugen“ aus dem „Oberamt Göppingen“ angeklagt (Ulmer Tagblatt, 30.8.1935). Im März 1938 gab es einen zweiten Prozess in Ulm durch das „Sondergericht Stuttgart“ (Ulmer Tagblatt 11.3.1938).
Etwa 11.000 deutsche und ausländische Zeugen Jehovas – Frauen und Männer – waren in der NS-Zeit inhaftiert, etwa 2000 in KZs, ca 1490 kamen zu Tode. In den KZs waren sie ab 1938 gekennzeichnet mit dem „Lila Winkel“. In dem 1942 eingerichteten Außenlager des KZ Dachau in Unterfahlheim, Landkreis Neu-Ulm, waren zeitweise über 20 „Zeugen“ inhaftiert.
Aufgrund der „Kriegsstrafrechtssonderverordnung“ vom 17.8. 1938 wurden ab Kriegsbeginn 270 „Zeugen“ zum Tod verurteilt und hingerichtet, darunter der 18-jährige Jonathan Stark aus Ulm. Extrem betroffen war auch die Familie Seibold, die in Söflingen, Kapellengasse 25 wohnte: Konrad Seibold jun., geb. 1922, wurde wegen „Wehrkraftzersetzung“am 28.3. 1942 in Brandenburg hingerichtet. Konrad Seibold sen., geb. 1886 starb am 5. Mai 1945 im KZ Mauthausen. Dessen Bruder Johann, geb. 1903, Uhrenmachergasse 23 in Söflingen, wurde ebenfalls in Brandenburg am 11.12.1940 hingerichtet, u.a. wegen „Verweigerung des Waffendienstes“.
Quellen: Bestand „Zeugen Jehovas“ im Archiv des DZOK; dort (R2, 357): Manuskript von 1999 von Hans Sautter: „Jehovas Zeugen während der NS-Zeit 1933 – 1945 im Raum Ulm“.
Literatur:
Detlef Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im Dritten Reich. München (Oldenbourg), 1998.
Hans Hesse (Herausg.): „Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas“. Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationasozialismus. Bremen (Edition Temmen), 2000 (2. Aufl.).
Annedore Leber (Herausg.): Das Gewissen steht auf. 64 Lebensbilder [darunter Jonathan Stark] aus dem deutschen Widerstand 1933 bis 1945. Erstausgabe im Mosaik-Verlag, Berlin 1953; letzte Auflage 1966 (Büchergilde Gutenberg).
Roman Sobkowiak: Eindeutschungsfähig. Eine polnisch-deutsche Biografie – im NS-Staat und in der jungen Bundesrepublik. Ulm (Klemm&Oelschläger), 2009; S.66ff.
„Wikipedia“ 2013
Autoren: Silvester Lechner und Hans Sautter
Bildrechte: DZOK