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Kurt Henne

Stolperstein Frauenstraße 134, ehemaliges Garnisons-Arresthaus (GPS 48.40687, 9.992808)

 

Der Freund ihrer älteren Schwester ist Maria Zoller, geb. Frohnauer, gut im Gedächtnis geblieben. Sie erinnert sich an Kurt Henne als einen „gut aussehenden, fröhlichen und vor allem musikalischen Menschen“, dessen Mundharmonikaspiel sie als damals Zehnjährige „schwer beeindruckt“ habe. Sie habe ihn „geradezu angebetet“, sagt sie heute.

Kurt Henne kam am 18. Dezember 1914 als Sohn von Valentin Henne, einem gelernten Schreiner, und Christiane Henne, geb. Bruchholz, in Weimar zur Welt. Am 26. März 1938 heiratete der Tischlergeselle Kurt Henne in Schwallungen/Thüringen seine erste Frau Hedwig Storch. Am 10. April 1938 wurde die gemeinsame Tochter Sonja geboren. Wenige Monate später, im November 1938, wurde die Ehe geschieden.

Zu Kriegsbeginn wurde Kurt Henne zur Wehrmacht eingezogen und zur Stammkompanie des Grenadier-­Ersatz­ und Ausbildungs­Bataillons 302 kommandiert. Später kam er zur Stammkompanie des Grenadier-Ersatz­ und Ausbildungs-­Bataillon 460 nach Ulm. Vermutlich war er danach in Regensburg stationiert.

Anne und Kurt Henne, Hochzeitsbild 1943

Anne und Kurt Henne, Hochzeitsbild 1943

Dort lernte er die aus Thalmassing stammende 22-­jährige Anna Frohnauer kennen. Deren damals zehnjährige Schwester Maria Zoller erinnert sich, dass der Freund der Schwester öfter zu Besuch bei der Familie in Thalmassing war. Da der Vater der Familie Frohnauer bereits früh verstorben war und die drei Schwestern mit der Mutter alleine lebten, wurde Kurt Henne von der Familie offen aufgenommen. Im Oktober 1943 heirateten Kurt Henne und Anna Frohnauer standesamtlich in Regensburg, die Hochzeitsfeier fand im engsten Familienkreis statt. Maria Zoller weiß noch, dass die Schwester „sehr traurig darüber war“, Kurt Henne auf Grund der geschiedenen ersten Ehe nicht kirchlich heiraten zu können. Anfang 1944 wurde Anna Henne schwanger. Ob dies der Auslöser für Kurt Hennes Entscheidung war, sich der Wehrmacht zu entziehen?

Aus einem Erholungsurlaub kehrte er im Februar 1944 nicht zurück an die Front. Seine junge Frau wusste von dieser Entscheidung jedoch nichts. Am 24. Februar 1944 meldete das Grenadier­-Regiment 1050 das Verschwinden Kurt Hennes. Daraufhin erhielt Anna Henne mehrfach Besuch von der Geheimen Staatspolizei, die nach ihrem Mann fahndete. Die Polizisten hätten die schwangere Schwester „wahnsinnig unter Druck gesetzt“, erinnert sich Maria Zoller. Kurt Henne gelang es, sich über einen längeren Zeitraum hinweg zu verstecken. Vermutlich tauchte er unter anderem bei einer ehemaligen Bekannten unter. Diese erschien eines Tages bei seiner Frau und bat um Zivilkleidung für den Flüchtigen.

Erst Monate später wurde Kurt Henne gefasst. In einer Meldung des Regiments heißt es: „Am 27. Oktober 1944 wurde er in Naumburg/Saale festgenommen und in die Wehrmachthaftanstalt Ulm/Donau“ eingeliefert.“ Wenige Wochen nach seiner Festnahme – am 5. November – kam seine zweite Tochter Christina Rosa Maria Henne zur Welt. Er sollte sie nie zu Gesicht bekommen.

Einige Tage vor seinem 30. Geburtstag, am 8. Dezember 1944, erkannte das Feldkriegsgericht der Zweigstelle des Gerichts der Division Nr. 465 in Ulm im Fall Henne auf „Todesstrafe“ und „Wehrunwürdigkeit“.

Aus der Haft schrieb Kurt Henne an seine Frau, sie möge ihn in der Ulmer Haftanstalt besuchen, damit er sie und seine Tochter vor seiner Hinrichtung noch einmal sehen könne. Nach Aussage von Maria Zoller habe es ihre Schwester wegen der Fliegerangriffe jedoch nicht gewagt, mit ihrem Kind nach Ulm zu fahren.

Am 1. März 1945 bestätigte ein  Telegramm des Oberkommandos  der Wehrmacht das Todesurteil. Am 17. März 1945 wurde Kurt Henne gemeinsam mit Jakob Eckstein auf dem Schießplatz im Ulmer Lehrer Tal erschossen. Im Sterberegister des Ulmer Friedhofs ist unter „Bemerkungen“ notiert: „Standrechtlich  erschossen wegen Fahnenflucht.“ Kurt Henne wurde in der Abteilung 74 neben drei weiteren hingerichteten Deserteuren bestattet.

Nach Aussage ihrer Schwester erhielt die Ehefrau keine Benachrichtigung über die Hinrichtung. Nach Kriegsende reiste sie deshalb nach Ulm, um sich über den Verbleib ihres Mannes zu erkundigen. Erst dort erfuhr sie von dessen Tod. Im Gespräch mit einem Wärter des Ulmer Militärgefängnisses habe sie gehört, dass Kurt Henne in den wenigen Monaten bis zu seiner Hinrichtung „vollständig ergraut“ sei, so Maria Zoller; dies sei aber das Einzige gewesen, was die verstörte Schwester zu Hause in Thalmassing erzählt habe. Sie habe nie wieder ein Wort über ihren Ehemann und Vater ihres Kindes verloren, auch gegenüber ihrer Tochter nicht.

Anna Henne starb am 8. Juni 2010, wenige Monate nach Beginn der Recherchen zu diesem Text. Ihre Schwester Maria Zoller lebt in der Nähe von Frankfurt. Die erste Tochter Kurt Hennes, Sonja Schmidt geb. Henne, wohnt heute nicht weit von ihrem Geburtsort in Wasungen/ Thüringen. Die jüngere Stiefschwester Christina Guttenberger, geb. Henne, verbringt nur noch wenige Monate im Jahr in Deutschland. Sie lebt heute vorwiegend in Ungarn.

Aus dem Buch „Deserteure und „Wehrkraftzersetzer“. Ein Gedenkbuch für die Opfer der NS-Militärjustiz in Ulm“ von Oliver Thron mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg in Ulm.