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Lina Einstein

Stolperstein Marktplatz 14, Seite Herdbruckerstrasse (GPS 48.396495, 9.9943078)

 

Lina Einstein, Cousine des berühmten Physikers Albert Einstein, wurde am 16.11.1875 in Ulm als zweite Tochter der Eheleute August Ignatz Einstein (1841, Bad Buchau – 1911,Tübingen) und Hanna Bertha Einstein, geb. Perlen (1845, Esslingen – 1902, Ulm) geboren. Im Geburtsregister der israelitischen Gemeinde findet sich zusätzlich der hebräische Vorname Rivka. Die Familie Einstein stammte aus Bad Buchau.

Viele Einsteins wohnten in Ulm. Heute noch sichtbare Zeugnisse aus der Geschichte der Familie sind das Gebäude Weinhof 19 („Engländer“), die Jeremiastatue im Ulmer Münster und einige Gräber auf dem Ulmer Friedhof. Im „Engländer“ wohnte Linas Großmutter Helene Einstein. Dort war auch die Bettfedernfabrik „Israel & Levi“, die Verwandte von Lina betrieben. Eine Zeitlang hatte ihr Vater August dort ein Damenkonfektionsgeschäft.

Lina Einstein (1875-1942)

Lina Einstein (1875-1942)

Die Jeremia-Statue im Münster wurde 1877 von Mitgliedern der israelitischen Gemeinde gestiftet. Unter den Stiftern waren Linas Vater (August Ignatz Einstein), ihr Onkel (Hermann Einstein), der Mann ihrer Tante (Cosman Dreyfus, ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann im Vorstand der israelitischen Gemeinde), der Bruder ihrer Großmutter (Lazarus Moos) und mehrere Mitglieder seiner Familie, der Bruder ihres Großvaters (Raphael Einstein) und mehrere (angeheiratete) Mitglieder seiner Familie.

An Gräbern der Familie Einstein findet man heute auf dem jüdischen Teil des Ulmer Friedhofs: August Ignatz Einstein (Linas Vater), Hanna Bertha Einstein (ihre Mutter), Anna Jauch (ihre Schwester), Clara Einstein (ihre Schwester), Jette Dreyfus (ihre Tante), Friederike Moos (ihre Tante) und Adolph Moos (ihr angeheirateter Onkel).

Die Einsteins waren wirtschaftlich unterschiedlich erfolgreich. Linas Vater war eines der eher ärmeren Familienmitglieder, zog immer wieder um und wechselte den Beruf. Linas ältere Schwester Clara (1872, Ulm – 1918, Neu-Ulm) starb laut der Erinnerung einer Enkelin einer Freundin der Familie an einer Überdosis Koffein. Die

jüngere Schwester Anna wurde 1880 in Ulm geboren. Vom 19.02.1900 bis zum 26.08.1907 arbeitete sie bei den Wielandwerken wie später auch Lina selbst. Am 11.05.1908 heiratete sie den Bankchef Alfred Johann Jauch in Ulm. Er war evangelisch, seine Frau Anna konvertierte aber allem Anschein nach nicht. Sie starb am 16.02.1909 im Kindbett nach der Totgeburt einer Tochter in Ravensburg. Alfred Jauch zog einige Zeit später nach Leutkirch weg.

Herdbruckerstrasse 1

Herdbruckerstrasse 1

Lina arbeitete ab 1897 bei der Firma Brüder Landauer, einem Warenhaus. 1901 wechselte sie zur Firma J. Arnold Chemische Waschanstalt und Färberei und wurde dort Filialleiterin. Am 01.08.1904 trat sie als Telefonistin bei den Wielandwerken in Ulm ein, wo schon ihre Schwester Anna arbeitete. In ihrer Freizeit spielte Lina Theater. 1931 zog Lina in die Herdbruckerstrasse 1. Ungefähr an der Stelle des heutigen Stadtgartens (das Eckhaus zum Marktplatz war etwas schmäler als heute) standen in der Herdbruckerstraße drei sehr kleine, bescheidene Häuser. Das Haus Nr 1 war nur ein Zimmer breit und die Toilette war im Treppenhaus. Lina freundete sich mit der Familie Levy aus der Herdbruckerstraße 8 genau gegenüber an.

Die Enkelin Fanny Totschek erinnert sich: „Lina war eine wirkliche Busenfreundin meiner Großmutter Sofie [Sofie Levy]. […] So war Lina eine Art Tante für uns Kinder, trotzdem wir sie nie geduzt haben. […]Lina war oft bei meinen Großeltern, auch jeden Sonntag zum Mittagessen bei ihnen. Auch verbrachten sie öfters die Sommerferien zusammen.“

Die Diskriminierungen ab 1933 illustriert die Erinnerung von Beate Nieß, der Schwiegertochter von Lina Einsteins Vorgesetztem bei den Wielandwerken: 1935 wollte er sie mit den übrigen Angestellten anlässlich seines Dienstjubiläums zum Kaffee einladen. Das ging nicht, weil einige Kolleginnen als überzeugte Nazis jeden privaten Umgang mit ihr ablehnten. Er lud sie dann zu einem anderen Termin einzeln ein. Am 31.05.1937 wurde Lina Einstein pensioniert. Sie erhielt 40 RM Rente von der Wielandstiftung. 1940 wurde sie zwangsweise im jüdischen Altersheim Oberstotzingen untergebracht. Am 18.08.1942 musste sie einen „Heimeinkaufsvertrag“ über 2800 RM für Theresienstadt abschließen.

Am 19.08. wurde sie aus Oberstotzingen in das Sammellager Killesberg in Stuttgart transportiert. Am 22.08.1942 erfolgte die Deportation nach Theresienstadt. Fanny Totschek erinnert sich: „Die Freundschaft von Lina und meinen Großeltern war so innig, dass meine Großeltern ohne Lina Deutschland nicht verlassen wollten und dann zusammen mit ihr den Leidensweg über Theresienstadt nach Treblinka machten. […] Der Transport im Viehzug war besonders für Lina sicherlich die Hölle, da sie eine mächtige und schwerfällige Frau war. Alle drei waren noch nicht 70, also keine Greise, aber wurden damals als solche betrachtet.“

Im September 1942 begegnete Lina Einstein in Theresienstadt der aus Ulm stammenden jüdischen Krankenschwester Resi Weglein. Diese schreibt: „Im September ’42 erkrankte ich selbst durch Ansteckung an der Ruhr, erholte mich aber rasch und konnte am 21. September, als der erste deutsche Transport von 10 000 Menschen in die Lager im Osten ging, die 500 Württemberger, die dazu eingereiht waren, in dem Hof der Dresdner Kaserne noch einmal sehen. Die armen Menschen waren alle schon zu drei Viertel verhungert, und es werden viele den Bestimmungsort nicht lebend erreicht haben. Von folgenden Menschen war der Abschied besonders schwer, da sie mir teilweise durch Verwandtschaft, teilweise durch Freundschaft sehr nahegestanden haben: […], Fräulein Lina Einstein, […]. Es war nur gut, daß die Menschen nicht wußten, welches Schicksal ihnen bevorstand, sonst wäre die Selbstmordwelle, die in diesen Septembertagen im Lager herrschte, noch viel größer gewesen […].“

Linas Vetter Albert Einstein hatte sie, solange er noch in Deutschland lebte einige Male besucht und schätzte sie sehr. Fanny Totschek berichtet, dass ihre Familie nicht wusste, ob Albert Einstein seine Cousine finanziell unterstützte. Er habe jedenfalls versucht, sich für sie einzusetzen. Die Erinnerungen von Beate Nieß bestätigen dies: Albert Einstein habe versucht, seiner Cousine eine Ausreisegenehmigung in die USA zu beschaffen, sei aber gescheitert. Albert Einstein gab seinen Geigen den Namen „Lina“. Ob das eine Ableitung von dem Wort „Violine“ ist oder mit seiner Cousine Lina Einstein zu tun hat, lässt sich nicht klären. Am 26.09.1942 wurde Lina Einstein nach Treblinka deportiert und dort ermordet.

Quellen:

  • Ingo Bergmann, Und erinnere dich immer an mich. Gedenkbuch für die Ulmer Opfer des Holocaust, Ulm 2009.
  • Personalakte Lina Einstein im Archiv der Wielandwerke
  • Münsterblätter, Heft 1, Ulm 1878.
  • Geburtsregister der Israelitischen Gemeinde Ulm 1808–1888
  • Resi Weglein, Als Krankenschwester im KZ Theresienstadt. Erinnerungen einer Ulmer Jüdin, Stuttgart 1988.
  • Mündliche Erinnerung von Beate Nieß (Schwiegertochter des Vorgesetzen bei den Wielandwerken)
  • Briefliches Zeugnis von Fanny Totschek geb. Kahn, jetzt wohnhaft in Rehovot, Israel, vormals in der Herdbruckerstrasse 8
  • Adressbücher
  • Stadtplan

Autoren: Barbara Comes und Stefan Krauter

Bildrechte: Fanny Totschek, Stadtarchiv Ulm