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Richard Stemmle

Stolperstein Frauenstraße 134, ehemaliges Garnisons-Arresthaus (GPS 48.40687, 9.992808)

 

Dem 22-jährigen fahnenflüchtigen Richard Stemmle gelang es, sich über mehrere Monate lang seinen Verfolgern zu entziehen. Schließlich entschloss sich der junge Mann mit seiner Freundin zur Flucht aus Deutschland. Gemeinsam wollten sie den Grenzübertritt ins Elsass wagen. In der Nähe der Grenze wurde der aus dem Schwarzwald stammende Flüchtige erkannt, bei der Polizei denunziert und verhaftet, als das Paar die Grenze passieren wollte.

Richard Stemmle mit Mutter und Schwester, 1930er

Richard Stemmle mit Mutter und Schwester, 1930er

Richard Stemmle wurde am 19. September 1922 geboren. Der Vater Josef Stemmle, ein gelernter Maurer, und seine Frau Frieda wohnten mit Richard und der zwei Jahre älteren Schwester Margareta in der Kirchstraße 11 im badischen Seelbach. Nach Beendigung der Schulzeit erlernte Richard den Beruf des Installateurs. Er arbeitete als Hilfsarbeiter, bis er vermutlich 1941/42 seine Einberufung zum Infanterie-­Ersatz-­Bataillon 195 in Tübingen erhielt. Nach einer Meldung vom 9. Juni 1942 diente er danach beim Feldersatz-­Bataillon 101.

Am 26. August 1943 wurde die Flucht Richard Stemmles von seinem Bataillon bemerkt. Verhaftet wurde er erst Monate später beim Grenzübertritt. Auf seiner Kriegszählkarte mit der Nummer 170/1945 ist als Truppenteil die 2. Kompanie der Feldstrafgefangenen­abteilung 18 vermerkt. Die durch das Wehrmachtgefängnis in Germersheim aufgestellte Einheit war eine jener „Bewährungseinheiten“,  die angesichts überfüllter Wehrmachtgefängnisse und zunehmender Verluste an der Ostfront durch einen Erlass des Oberkommandos des Heeres vom Mai 1942 eingerichtet wurden.

ScrnRes_StSt6 StemmleDiese Einheiten, die sich aus verurteilten Wehrmachtangehörigen zusammensetzten, wurden an besonders gefährlichen Frontabschnitten – häufig unbewaffnet – eingesetzt. „Bei entsprechender Führung innerhalb der FGA [Feldstrafgefangenenabteilung] sollte dann nach angemessener Zeit die Strafaussetzung zum Zwecke der „Frontbewährung“ ausgesprochen werden.“ Unklar bleibt, weshalb sich der erst 22­-jährige Richard Stemmle in dieser Einheit nicht „bewähren“ konnte und vermutlich Ende 1944 in das Ulmer Militärarresthaus eingeliefert wurde.

Nach Meldung der Ulmer Zweigstelle des Gerichts der Division Nr. 465 am 9. Januar 1945 wurde Richard Stemmle „wegen Fahnenflucht aus dem Feldheer […] zum Tode und zur Wehrunwürdigkeit verurteilt. Am 23. Februar 1945 wurde das Urteil bestätigt. Frieda Stemmle besuchte ihren Sohn vor dessen Hinrichtung noch einmal in Ulm. Nach Aussage der Familie sei sie nach dem Abschied  von Richard „völlig traumatisiert“  gewesen und habe „nie darüber  gesprochen.“

Am 21. März 1945 wurde Richard Stemmle um 7.22 Uhr hingerichtet und laut Sterberegister des Ulmer Friedhofs zwei Tage später innerhalb der Abteilung 74 neben drei weiteren Deserteuren bestattet.

Aus dem Buch „Deserteure und „Wehrkraftzersetzer“. Ein Gedenkbuch für die Opfer der NS-Militärjustiz in Ulm“ von Oliver Thron mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg in Ulm.