Rede von Herrn Alan Frankel
Diese Rede wurde von Alan Frankel anlässlich der Stolpersteinverlegungen für seine Familie am 26. Mai 2015 auf Englisch gehalten. Alan Frankel ist der Sohn von Henry Frankel. Die Übersetzung folgt unterhalb des englischen Textes.
I am here to represent my father Henry, mother Helene, sister Donna, brother Steve, nephew Ilan, niece Liza, and all the Frankels, Einsteins, and Chaskelowitzes who are no longer alive. I am here to give a face and a voice to the names on those stones because their owners‘ faces and voices were distorted and muted.
Eighty years ago, there occurred what can be called in German an „Unding“, an „un-thing“, an unthinkable thing, but one that we have thought about ever since. An angry man and his henchmen told people that they could fix everything by singling out a particular set of their neighbors for abuse. Many listened, as their ancestors had for fifteen hundred years. They humiliated, stole from, or ignored the people who had been living next to them. Cowardice and brutality became the basic rules of human behavior, until the society collapsed and rules were imposed from outside to transform its broken landscape and break the cycle of atrocity.
The challenge is to remember not only the enormity of the crime, but the individuality of those affected, not just the six million but Adolf, Ida, Jakob, Martha, and Heinz… and not just the dead, but the living. This commemoration itself is a story of Silvester, Cornelia, Ingo, Mark, Christine, Nicola, Angelika, Martin, Karin, Barbara, Petra, Shneur, and all the others who contributed their time, research, money, art, and prayers, who invited my partner and me into their homes, and who are following this procession from house to house, from stone to story to person. If we can remember the basic humanity of others, and we have enough wisdom and bravery, maybe we have some chance of mitigating future catastrophes, elsewhere in the world or on our own street.
Ich stehe hier stellvertretend für meinen Vater Henry, meine Mutter Helene, meine Schwester Donna, meinen Bruder Steve, meinen Neffen Ilan, meine Nichte Liza und für all die Frenkels, Einsteins und Chaskelowitzes, die nicht mehr am Leben sind.
Ich stehe hier, um den Namen auf diesen Steinen ein Gesicht und eine Stimme zu geben, denn die Gesichter derer denen sie gewidmet sind, wurden zu Zerrbildern entstellt und ihre Stimmen zum Verstummen gebracht.
Vor achtzig Jahren geschah, was man auf Deutsch ein Un-ding nennt, etwas an sich undenkbares, aber etwas, über das wir seither ständig nachdenken müssen.
Ein wütender Mann und seine Gefolgsleute erzählten den Menschen, dass sie alles in Griff bekommen könnten, indem sie eine ganz bestimmte Gruppe ihrer Nachbarn für Misshandlungen auswählen würden. Viele hörten zu, genau wie ihre Vorfahren es 1500 Jahre getan hatten. Sie erniedrigten die Menschen, die immer in ihrer nächsten Nähe gelebt hatten, bestahlen oder grenzten sie aus. Feigheit und Brutalität wurden zu den grundlegenden Regeln menschlichen Verhaltens, bis diese Gesellschaft zusammenbrach und Regeln von außen aufgezwungen wurden um den Kreis der Gräueltaten zu durchbrechen und die zerstörte Welt dieser Menschen wieder aufzubauen.
Die Herausforderung besteht darin, sich nicht nur an das ungeheure Ausmaß des Verbrechens zu erinnern, sondern auch an die Individualität der Betroffenen. Nicht allein an sechs Millionen, sondern an Adolf, Ida, Jakob, Martha und Heinz – und nicht allein an die Toten, sondern auch an die Lebenden. Diese Gedenkveranstaltung ist selbst eine Geschichte von Silvester, Cornelia, Ingo, Mark, Christine, Nicola, Angelika, Martin, Karin, Barbara, Petra, Shneur und von all den anderen, die mit ihrer Zeit, ihrer Recherche, ihrer Kunst und ihren Gebeten dazu beigetragen haben. Es ist eine Geschichte von jenen, die mich und meinen Partner in ihr Haus eingeladen haben und die dieser Prozession von Haus zu Haus folgen, von Stein zu Geschichte zu Person. Wenn wir in der Lage sind, uns an die grundlegende Menschlichkeit Anderer zu erinnern und wenn wir genug Weisheit und Mut besitzen, dann haben wir vielleicht eine gewisse Chance, zukünftige Katastrophen zu begrenzen – irgendwo in der Welt oder in unserer eigenen Straße.
Übersetzung ins Deutsche durch Christine Tritsch