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Statement der Ulmer Stolperstein-Initiative anlässlich der Erinnerung am 9. November 2021 an die Reichspogromnacht

In drei Wochen jährt sich zum 80. Mal der Beginn der sog. Endlösung für die Ulmer Juden. Der erste Transport, am 1. Dezember 1941, brachte 20 Ulmer Bürger nach Riga in Lettland, wo sie alle ermordet wurden: Adolf Frenkel, für den vor sechs Jahren der erste Stolperstein in Ulm verlegt wurde; Hedwig Schulmann, die Barths, die Neuburgers, für die in der Neutorstraße, der Ensingerstraße und der Schuhhausgasse schon Stolpersteine liegen; die Harburgers, die Kahns und Frieda Steiner, für die am 7. März nächsten Jahres neue Stolpersteine verlegt werden; und die Mayers, Beate Hommel und Fanny Hilb.

Wir schauen zurück mit großer Trauer, Entsetzen und ja Wut auf jene Ereignisse von damals. Aber wir schauen auch nach vorn auf Heute und Morgen. Können Juden heute glücklich und in Frieden in Deutschland leben? Oder müssen sie die Tatsache, dass sie Juden sind, verstecken und verheimlichen, können sie Kippa oder Davidstern tragen oder lieber nicht? Werden sie in den kommenden Jahren aus einem Land, in dem die Judenfeindlichkeit vielleicht wieder gesellschaftsfähig wird, fliehen wollen?

Nicht die Juden unter den Deutschen werden diese Fragen beantworten können, sondern wir alle. Wir alle, indem nicht im Allgemeinen über Antisemitismus geklagt wird, sondern in jedem Einzelfall der Judenhass widersprochen wird, in der Familie, in der Schule, am Stammtisch, im Klub und an der Arbeit.

Seit den ersten Stolpersteinverlegungen in Ulm sind viele Nachkommen der in der Shoah ermordeten jüdischen Ulmer Bürger nach Ulm gekommen, um bei dieser besonderen Erinnerung an ihre Familien dabei zu sein, auch welche, die selbst als kleine Kinder aus Ulm ins Ausland fliehen mussten. Sie haben uns getraut. Sie haben geglaubt, oder versucht zu glauben, dass in Deutschland es anders geworden ist. Denken wir kurz auch an sie und an dieses Vertrauen: Otto und Delia Meth-Cohn aus England und Österreich; Reuben Levy aus Israel; Alan und Steve Frankel aus den USA; Anna Laura Geschmay Merovach aus Italien; Liora, Stella, Gabi, Rafi, Ravit und Daniel Hilb aus Frankfurt a.M., Berlin und Israel; Vera Kluger und Adi Zarchi aus Australien und Israel; Michael Moos aus Freiburg; Nicole Strate aus der Schweiz; Jan Polatschek, Miryam Lauer, Diane Levy und Michal Svoboda aus Thailand, Israel, Uruguay und der Schweiz; David Ury aus England; Ron Watson aus München; Peter Waldmann aus Mainz; Ori Edelberg aus Israel; Manuel, Tania und Sophia Lebrecht aus Berlin; Barbara Lebrecht, Patricia, Alessandro, Bernardo, Fernanda und Nicolas Dorow, Andre, Sophia und Martin Mueller Hering aus Brasilien; Margalith Pozniak und Galia Halbroth aus Hamburg; Viviana Sandoval und Raquel Toloza aus Chile; und live per Videoschalte Bob Wheeler, Barbara King, Ellen und Martin Fraenkel und Jack Weil aus England und den Niederländen.

Bitte enttäuschen wir nicht ihre Hoffnungen und ihr Vertrauen.